128 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's. verfaßt war, aber erst 1819 in Paris veröffentlicht und erst jetzt in Deutschland bekannt wurde — wohl das schönste Werk der neueren ultra- montanen Publicistik, meisterhaft geschrieben, unerbittlich folgerecht in seinen Schlüssen und durchglüht von einer Wärme der Ueberzeugung, die auch den Gegner zur Achtung zwang. Rund und nett ward hier die furchtbare Lehre der päpstlichen Unfehlbarkeit aufgestellt — eine Doktrin, die sich aus dem Werdegang der römischen Kirche mit logischer Nothwendigkeit ergab, aber inmitten der nationalkirchlichen Gebilde des achtzehnten Jahr- hunderts sich noch nicht recht offen herausgewagt hatte. Da jedes mensch- liche Gesetz unvollkommen ist und der Ausnahmen bedarf, so muß eine unfehlbare höchste Gewalt bestehen, ausgestattet mit dem Rechte zu binden und zu lösen. Den unmittelbar von Gott eingesetzten weltlichen Souveränen wird diese Unfehlbarkeit menschlicherweise beigelegt, wirklich vorhanden ist sie nur in dem Statthalter Christi. Darum verkettet ein Band des Gehor- sams alle legitimen Souveräne mit dem heiligen Stuhle, dem Schieds- richter der Staatenwelt, und nur auf dem Boden der katholischen Glaubens- einheit ist ein gesundes politisches Leben denkbar. Was kümmerte diesen Schwärmer die unbestreitbare Thatsache, daß die politische Entwicklung der protestantischen Völker bisher in leidlichem Frieden verlaufen war, während die Revolution, in dem katholischen Frankreich geboren, die katho- lischen Staaten, und soeben wieder die beiden Halbinseln Südeuropas, mit krampfhaften Zuckungen heimsuchte? Er hatte für sich die dialektische Kraft des Wortes: wer Autorität sagt, der sagt Papst oder er sagt gar nichts. Die Angst vor der Revolution beherrschte aber die deutschen Höfe so gänzlich, daß mancher geistreiche Protestant auf die Weisheit des clericalen Savoyarden schwur, ohne zu bemerken, wie fest jeder Satz dieses wohl- gefügten Lehrgebäudes mit der päpstlichen Unfehlbarkeit zusammenhing. Gentz, der im Kerne seines Wesens doch immer ein Kantianer blieb, er- klärte de Maistre's Schrift für das erste Buch des Jahrhunderts und rief entzückt: „das ist mein Mann!"“ Einzelne blendende Paradoxen des geist- reichen Ultramontanen wurden in der vornehmen Welt mit Frohlocken umhergetragen, so das berühmte Schlagwort, das fast wörtlich mit Haller übereinstimmte: die Fürsten verdanken den Völkern nur leeren Glanz, die Völker verdanken den Fürsten ihr Alles, ihr sociales Dasein. Auch der preußische Kronprinz berauschte sich an dem Weihrauchduft dieser legitimistischen Halbwahrheiten. Monarchen von starkem Selbstgefühl pflegen ihren Thronfolger mit einer gewissen Härte von den Geschäften fern zu halten. König Friedrich Wilhelm aber schaute mit väterlichem Stolz auf seinen vielverheißenden Erben, der dem Vater stets mit kindlicher Pietät begegnete. Das Miß- trauen, das ihn vor genialen Naturen so häufig überkam, verleugnete sich ganz gegenüber diesem Sohne, in dessen Wesen doch Vieles lag was im