Italien und Oesterreich. 141 Der Gedanke der italienischen Einheit war diesem Süden der Halb— insel, der seit Jahrhunderten ein selbstgenügsames Sonderleben führte, noch fast fremd; nicht die nationale Tricolore des Königreichs Italien, sondern die schwarzblaurothe Parteifahne der Carbonari wehte jetzt von den Wällen von S. Elmo. Nur die beiden hochherzigen Brüder Pepe und vielleicht noch einige andere napoleonische Veteranen hofften im Stillen auf den Bundesstaat Ausonien, das alte Traumbild der patriotischen Schwärmer. Gleichwohl konnte ein scharfer Beobachter wie Graf Adam Moltke aus dem phantastischen Treiben schon den ersten Wiegenschrei einer erwachenden großen Nation heraushören; er wollte die Wälschen nicht tadeln, weil sie jetzt um dieselben Güter kämpften wie einst die Deutschen in den Jahren 1806—1815. Ueberall auf der Halbinsel trieben die Geheimbünde ihre unterirdische Arbeit. Noch war die Zahl ihrer Genossen gering; aber sie wirkten mit der ganzen fieberischen Rastlosigkeit süd- ländischer Verschwörer, und das feine Machtgefühl, das diesem Volke selbst in den Zeiten seiner politischen Versunkenheit immer eigen blieb, hatte längst errathen, wo der Thränenquell Italiens floß. Die Fremdherrschaft lastete auf dem zerrissenen Lande; auf Oesterreichs Waffen stützten sich alle seine kleinen Despoten. Das schwarzgelbe Banner war der unglück- lichen Nation das Symbol ihrer Knechtschaft, obgleich Oesterreich in Italien nicht willkürlicher schaltete als die einheimischen Fürsten; unumwunden erklärte- der conservative Piemontese d'Aglié jetzt schon den französischen Staatsmännern: der Sitz des Aufruhrs in Oberitalien sind die öster- reichischen Provinzen. In der Hofburg selbst ward dies dunkel empfunden. Bald nach dem Ausbruch des neapolitanischen Aufruhrs ließ Kaiser Franz in der Lombardei eine Treibjagd auf wirkliche und vermeintliche Verschwörer veranstalten. Giorgio Pallavicino, der Dichter Silvio Pellico und viele andere treue Patrioten wurden aufgegriffen um dann jahrelang im Sonnenbrande der Bleidächer Venedigs oder in den scheußlichen Kerkern des Spielbergs über die Menschenfreundlichkeit ihres guten Kaisers nach- zudenken. Wollte die Fremdherrschaft sich behaupten, so durfte sie den bleiernen Schlummer, der einst unter der Herrschaft der spanischen Vicekönige auf der Halbinsel gelegen hatte, nicht stören lassen; der Wiener Hof konnte in seinen Vasallenstaaten niemals constitutionelle Formen dulden, die in Mai- land und Venedig unmöglich waren. Jede revolutionäre Bewegung in Italien war eine Kriegserklärung gegen Oesterreich, auch wenn sie selber ihre nationalen Ziele noch nicht klar erkannte. — Die Gefahr schien um so ernster, da es auch auf dem alten Heerde der europäischen Revolution wieder zu schwälen begann. In Frankreich war das Jahr 1819 leidlich ruhig verlaufen. Als der Minister Decazes den König bewogen hatte, sechzig neue Pairs, zumeist Würdenträger des Kaiserreichs, in das Oberhaus zu berufen, da konnte man einen Augen- blick hoffen, daß die alte mit der neuen Zeit sich endlich vertragen und