Spanien und die Großmächte. 153 jetzt als einen verlorenen Posten; die Ruhe Frankreichs galt ihnen mehr als jene entlegenen Händel. Die Thatenlust des Czaren hatte in Wien von Neuem das alte Mißtrauen gegen Rußland erweckt; auch die zweideutige Haltung des Petersburger Cabinets nach den Karlsbader Beschlüssen blieb in der Hofburg unvergessen, und soeben waren aus der Balkanhalbinsel wieder beunruhigende Nachrichten über die Umtriebe russischer Agenten eingelaufen.) Darum empfahl Metternich jetzt abermals, wie vor zwei Jahren'"), den Abschluß eines geheimen Sonderbündnisses zwischen den deutschen Mächten, das seine Spitze nöthigenfalls wider Rußland kehren sollte. Aber auch diesmal lehnte Preußen die Zumuthung ab; denn der König blieb unerschütterlich des Glaubens, daß nur der Bund der drei Ostmächte den Weltfrieden sichern könne, und auch Bernstorff fand den Vorschlag Metternich's weder klug noch redlich. „Wir müssen“, schrieb er an Ancillon, „Rußland gegenüber durchaus aufrichtig bleiben und wollen vor ihm weder ein Unrecht zu verbergen noch ein Unrecht zu gestehen haben. Unsere Freundschaft mit Oesterreich kann nie zu eng und nie zu stark werden, aber sie muß vollkommen frei und ein reines Vertrauens- verhältniß bleiben. Der Vortheil, den wir uns davon versprechen, würde vernichtet werden durch den ersten geschriebenen Buchstaben, der uns einer förmlichen und bestimmten Verpflichtung unterwürfe.“ ) Nach diesem Mißerfolge in Berlin versuchte Metternich sein Glück bei dem Czaren selber und sendete im Mai dem Gesandten Lebzeltern eine lange, für den Kaiser persönlich bestimmte Denkschrift. Bernstorff nannte diese Arbeit seines Wiener Freundes ganz unklar, schwach, verworren, und in der That war kaum jemals ein armseligeres Schriftstück aus Metternich's fruchtbarer Feder geflossen; denn da er mit seinen liberalen Gegnern die Vorliebe für doktrinäre Sätze theilte, so hatte er auch jetzt seinen Widerspruch gegen eine europäische Intervention, der sich doch nur aus der augenblicklichen Lage der Großmächte ergab, in die Form all- gemeiner politischer Maximen eingekleidet und war also, ohne es zu merken, zu einer Theorie der Nicht-Intervention gelangt, welche den so oft wieder- holten Grundsätzen der Stabilitätspolitik schnurstracks zuwiderlief.#) Metternich's Phantasie hatte nur für Metaphern in ihrem Vermögen, welche sich allesammt auf die Revolutionsgefahr bezogen und der diplo- matischen Welt bereits geläufig waren: den Vulkan, die Pest, den Krebs- schaden, die Wasserfluth und die Feuersbrunst. Diesmal eröffnete der Vulkan den Reigen. „Europa ruht auf einem Vulkan,“" begann die Denkschrift wehmüthig, „die Lavamassen der ersten Revolution bedecken *) Krusemark's Berichte, 16. Jan., 10. April, 15., 22. Mai 1820. ) S. o. II. 123. *““) Bernstorff an Ancillon, 16. April 1820. ) Metternich's Denkschrift über die spanische Revolution (an Lebzeltern, Mai 1820); Bernstorff an Ancillon, 20. Mai 1820.