Das Troppauer Protocoll. 165 weit war man also in zwei Jahren schon hinabgeglitten auf den ab— schüssigen Bahnen der Reaktion! Welches Befremden hatte diese legitimistische Parteidoktrin noch auf dem Aachener Congresse erregt, als sie dort in Ancillon's Denkschrift zuerst ausgesprochen wurde. Jetzt nahm man sie willig auf. Die Ostmächte verkündeten geradezu, daß die große Allianz nicht das Recht gegen Jedermann wahren, sondern nur die Throne gegen den Aufruhr vertheidigen wolle; und wie furchtbar mußte die radicale Verbitterung zunehmen, sobald die Welt zu dem Glauben gelangte, daß aus dem großen europäischen Friedensbunde ein Bund der Fürsten gegen die Völker geworden sei. Auf jene doktrinären Vordersätze folgte sodann der praktische Schluß, daß ein österreichisches Heer im Namen der Mächte in Neapel einrücken solle, aber „zu dem einzigen Zwecke, dem Könige und der Nation die Freiheit wiederzugeben“. Am folgenden Tage wurde König Ferdinand durch gleichlautende Schreiben der drei Monarchen eingeladen, vor ihnen in Laibach zu erscheinen; dorthin wollte der Congreß, um dem Schauplatz der Revolution näher zu sein, mittlerweile übersiedeln. Die Oesterreicher bezweifelten kaum, daß der Bourbone der Ladung Folge leisten würde; schlimmsten Falls sollten jedoch die Geschäftsträger in Neapel erklären, die Monarchen machten jeden einzelnen Neapolitaner für die Sicherheit der königlichen Familie verantwortlich.“) Und das Alles geschah ohne die Mitwirkung der Westmächte. Man speiste sie ab mit dem Troste, dies rasche Vorgehen werde ihnen den nach— träglichen Beitritt erleichtern. Die Lage der englischen und französischen Bevollmächtigten wurde mit jedem Tage peinlicher; sie glichen wirklich, wie Tierney in einer Parlamentsrede höhnend bemerkte, den Zuhörern im Unterhause, die sich bei der Abstimmung entfernen müssen. Für Eng— land war das Protocoll vom 19. Nov. geradezu beleidigend; denn auch die moderne englische Verfassung war aus einem „Aufruhr“ hervor— gegangen, und das Thronrecht des Hauses Hannover beruhte auf dem revolutionären Grundsatze, daß der legitime König Jakob II. den ursprüng- lichen Vertrag zwischen Fürst und Volk gebrochen habe. Unbekümmert um den Groll der constitutionellen Höfe schritten die Ostmächte vorwärts. Sie nannten sich selber les puissances délibérantes und verkündeten durch ein stolzes Rundschreiben, das bald in die Zeitungen kam, den kleinen Höfen die bisherigen Ergebnisse des Congresses; sie erklärten darin jede durch Aufruhr bewirkte Regierungsveränderung für einen Bruch der europäischen Verträge und sprachen die zuversichtliche Erwartung aus, daß die Westmächte sich ihnen noch anschließen würden. In der That begann der französische Hof zögernd ihren Spuren zu folgen; König Ludwig entschloß sich nachträglich seinen italienischen Verwandten ebenfalls zur Reise *) Protocole préliminaire, 19. November; drei Weisungen Bernstorff's an Ramdohr in Neapel, 22. Nov.; Hardenberg's Tagebuch, 19. Nov. 1820.