Kirchenpolitik der preußischen Regierung. 201 betrachteten die römische Kirche mit unverhohlenem Mißtrauen; auch Graf Solms-Laubach stand dieser Ansicht nahe, da er als rheinischer Ober— präsident schon manchen Straus mit dem Aachener Generalvicariate hatte durchfechten müssen. Der fromme Nicolovius hingegen bewahrte noch in treuer Erinnerung das lichte Bild jenes gläubigen und durchgeistigten Katholicismus, den er einst in dem gottseligen Kreise der Fürstin Galitzin lieben gelernt; er vergaß darüber beinahe die politische Macht und Herrsch— sucht der römischen Kirche und näherte sich unbemerkt den kirchenpolitischen Grundsätzen seines Amtsgenossen Geh. Rath Schmedding, der, ein ver— ständiger, nüchterner, fast rationalistisch gesinnter Geschäftsmann, doch von den clericalen Anschauungen seiner münsterländischen Heimath niemals ganz frei wurde und den Ansprüchen der römischen Curie sehr weit ent— gegenkam. Schmedding's Urtheil fiel um so schwerer ins Gewicht, da er der einzige Katholik und der tüchtigste Kanonist im Cultusministerium war. Fast alle die anderen Räthe der Krone besaßen keine lebendige Kenntniß von der römische Kirche — ein Mangel, der bis zum heutigen Tage dem preußischen Beamtenthum eigenthümlich geblieben ist; sie über- trugen ihre ernsthaften protestantischen Begriffe auf die katholische Welt, betrachteten die wesentlich politische Partei der Ultramontanen als eine Gesinnungsverwandte der evangelischen Orthodoxie und verstanden nicht recht zu leben mit diesem Clerus, der, schon von der Schulbank her an die römischen Künste des silere, dissimulare, scire und tolerare posse gewöhnt, für die ruhige Sprache der selbstbewußten Macht immer empfäng- lich ist, aber jede Unsicherheit der weltlichen Gewalt rücksichtslos auszu- beuten versteht. Also erneuerten sich im Schooße der preußischen Regierung die nämlichen Kämpfe, welche ein Menschenalter zuvor die literarische Welt bewegt hatten, als Nicolai und Biester in der Berliner Monassschrift die Jesuiten und die Finsterlinge anklagten und F. H. Jacobi dawider das Recht des gläubigen Herzens vertheidigte. Wahrheit und Irrthum lagen seltsam gemischt auf beiden Seiten, und Altenstein fühlte mit feinem Takt heraus, daß der Cultusminister sich keiner der beiden Parteien un- bedingt anschließen durfte. Wieder eine andere ganz eigenthümliche Ansicht der Kirchenpolitik hegte Niebuhr, der Gesandte in Rom. Preußen war der erste protestan- tische Hof, der sich im Vatican durch eine stehende Gesandtschaft vertreten ließ. Der römische Posten hatte bisher nur zur Erledigung unscheinbarer laufender Geschäfte gedient und erhielt jetzt erst, da die Errichtung der neuen Landesbisthümer bevorstand, eine politische Bedeutung. Bei seiner Neubesetzung ging Hardenberg von der Erwägung aus, daß nur ein gegen die geistlichen Waffen der Curie gefeiter Mann, ein Protestant und ein Weltlicher, die Verhandlungen würdig führen könne; der neue Gesandte durfte aber auch kein hohes Amt bekleiden, damit der Papst nicht auf den Einfall geriethe, seinerseits einen Nuntius nach Berlin zu