Spannung zwischen Württemberg und den Großmächten. 319 sein Herr habe sich nur mit Widerstreben zu einer solchen Maßregel ent- schlossen, die in den Staaten des Absolutismus wenig schade, in einem Lande constitutioneller Freiheit aber bedenklichen Unfrieden erregen könne. Am 6. Februar wurde die Veroneser Erklärung der Ostmächte der Bundesversammlung vorgelesen, zugleich ein Begleitschreiben des russischen Gesandten Anstett, das in dem Satze gipfelte: „die Völker sind nur so lange ruhig als sie glücklich sind, und noch niemals hat sich das Glück in der Aufregung befunden.“ Baiern beantragte — diesmal in anstän- digeren Formen als nach dem Laibacher Manifest —den drei Mächten den Dank des Bundestags und die Anerkennung ihrer weisen und erhal- tenden Grundsätze auszusprechen. Wangenheim aber wollte boshaft nur die reine Absicht der Großmächte billigen und behielt sich eine gründliche Erwägung vor. Seine treuen Freunde, die beiden Hessen Lepel und Harnier traten ihm bei. Als aber nach vierzehn Tagen abgestimmt wurde, hatten sie von daheim schon Gegenbefehl erhalten, und Wangen- heim schloß sich allein von dem allgemeinen Danke aus, unter dem selt- samen Vorwande: der Bund habe Rücksicht zu nehmen auf alle euro- päischen Mächte, das wollte sagen: auf England. So wenig Ernst und Würde war in dieser deutschen Opposition: statt ehrlich Farbe zu bekennen oder klug der Uebermacht nachzugeben, versteckte sie sich hinter Canning. Inzwischen begann der Stuttgarter Hof besorgt zu werden. Er erfuhr von Ancillon's donnernder Standrede und von der allgemeinen Entrüstung der preußischen Staatsmänner; selbst der milde Bernstorff zeigte sich sehr aufgebracht und theilte allen Gesandtschaften mit: „wie der König von Württemberg sich hat einfallen lassen, in einem Gegen-Circular seinen längst bekannten feindseligen Gesinnungen gegen die verbündeten Mächte ohne Schen und Rücksicht Luft zu geben.““) Bald traf auch ein ernstes Schreiben Metternich's ein; dem hatte der württembergische Ge- sandte das Rundschreiben gar nicht vorzulesen gewagt, gleichwohl verwahrte er seinen Kaiser schon im Voraus gegen den Vorwurf napoleonischer Gewaltherrschaft. Die Luft ward brenzlich, und König Wilhelm reiste wieder nach Weimar zu dem Schutzengel Württembergs, der Großfürstin Maria Paulowna. Wintzingerode gab den Vertretern der Ostmächte die besten Worte und betheuerte heilig, das Rundschreiben sei nur durch einen straf- baren Bruch des Amtsgeheimnisses bekannt geworden. Die Frankfurter Post sollte die Schuld tragen. Warum aber der Geschäftsträger in Berlin das tiefgeheime Aktenstück selber im preußischen Auswärtigen Amte vor- gelesen hatte? — diese einfache Frage blieb unerledigt. Ueber ihr lag das der Stuttgarter Politik eigenthümliche Halbdunkell) *) Wintzingerode, Rundschreiben an die Gesandtschaften, 29. Jan. 1823. * ) Bernstorff an Schöler, 27. Jan.; an die Gesandtschaften, 28. Jan.#1823. reiek) Bericht des russischen Gesandten v. Benckendorff, 11. Februar; Wintzingerode an Beroldingen in Petersburg, 18. März; Küster's Bericht, 4. März 1823.