Canning und die Unabhängigkeit Südamerikas. 357 Handelsherrschaft Englands treten, und für England allerdings eröffnete sich damit die Aussicht auf glückliche neue Jahrhunderte. Auch die Ver— einigten Staaten ließ er über seine Absichten nicht im Zweifel, er erklärte ihnen sehr bestimmt, daß er die Monroe-Doktrin „Amerika für die Ame— rikaner“ keineswegs anerkenne. Aber das englische Handelsinteresse ent— sprach in der That augenblicklich dem großen Zuge der Geschichte, den Lebensbedingungen der jungen Völkerwelt des Westens und nicht minder den Hoffnungen des Liberalismus, der längst nach einem Gegengewicht gegen die große Allianz verlangte. Arglos stimmte daher die gesammte liberale Welt in den wohlberechtigten nationalen Freudenruf der Briten ein und wiederholte frohlockend den Ausspruch Canning's: „ich rief die neue Welt ins Leben um das Gleichgewicht in der alten herzustellen.“ Fast noch lauter erklang die Zustimmung, als Canning bald darauf durch eine kühne Flottenfahrt nach Lissabon zugleich den Portugiesen ihre neue constitutionelle Staatsordnung und der englischen Handelspolitik ihren alten Brückenkopf sicherte. So endete die spanische Restauration mit einer schweren Niederlage der Ostmächte; sie erwarb ihren Urhebern nur neuen Haß und schenkte den amerikanischen Rebellen die Unabhängigkeit, der britischen Flagge ein unermeßliches Handelsgebiet. — Auch die Wirren in Osteuropa konnte Metternich nicht mit der Be— friedigung des Siegers betrachten. Das Geheimniß seiner orientalischen Politik hat Niemand besser errathen als sein gelehriger Schüler Haupt— mann Prokesch, ein federgewandter, betriebsamer, mehr durch großspreche- rische Anmaßung als durch echtes Talent ausgezeichneter junger Diplomat, der in Wien für ein Genie gehalten und seit dem Jahre 1824 zur Beob- achtung des Orients verwendet wurde. Prokbesch's Berichte galten in der Hofburg als Orakelsprüche, weil er die glückliche Gabe besaß Alles zu sehen was er sehen wollte und demnach die griechischen Rebellen einfach als ein verkommenes Gesindel darstellte. Sein Urtheil über die türkischen Dinge faßte er zusammen in dem monumentalen Satze: „was man die orientalische Frage nennt, ist nur eine Frage zwischen Rußland und dem übrigen Europa; in der Türkei giebt es keine orientalische Fragel“ Dieser Weisheitsspruch war durchaus nach dem Sinne des Meisters. Was küm- merten den Wiener Hof die Verhöhnung des Kreuzes durch den Halbmond und das himmelschreiende Elend der Rajahvölker, wenn nur Rußlands Einmischung abgewendet und der treueste Alliirte, der Sultan in seinem legitimen Besitzstande gesichert wurde! Metternich rühmte sich geradezu dieser gedankenlosen Unfruchtbarkeit und meinte: „die diplomatisch stärkste Stellung ist stets die Defensive.“ Er fand, die griechische Frage sei „die leichteste von allen“ — schade nur, daß die anderen Staatsmänner nicht ebenso weise waren wie er selber, der erfüllt „von unüberwindlichem Haß gegen Worte und Phrasen, sich stets zu Thaten getrieben fühlte! Meine Stellung ist ein Fels, an dem die Fluth sich brechen wird. Der Fels