Königliche Selbstregierung. 363 Staat, der die beste Verwaltung Europas besaß und die Einheit des deutschen Marktes begründete, betrieb zugleich das verächtliche Handwerk der Demagogenverfolgung. Und doch bewahrte diese persönliche Regierung mit allen ihren augenfälligen Schwächen den preußischen Staat vor einer gefährlichen Reaktion, die unter einem Ministerium Voß-Buch schwerlich ausgeblieben wäre. Jetzt zeigte sich erst, wie weit die Gesetzgebung der jüngsten Jahre der politischen Bildung des Volks vorausgeeilt war; ein starker Rückschlag begann, sehr ähnlich jener Bewegung, welche das Deutsche Reich um das Jahr 1878 erschütterte. Nicht bloß der feudale Adel, auch weite Kreise des Bürger= und Bauernstandes fühlten sich verletzt in ihren Interessen, Gewohnheiten, Vorurtheilen und klagten laut über die Frei- zügigkeit, die Agrargesetze, die Gewerbefreiheit. Friedrich Wilhelm aber ward an den Grundgedanken seiner socialen Reformen nicht irr, und obwohl er rasch alternd sich nur noch sehr schwer zu Neuerungen entschloß, so verstand er doch nach seiner stillen Weise, als König über den Parteien zu stehen. Um die Heißsporne der Reaktion zu „calmiren“, gewährte er ihnen wohl einzelne Zugeständnisse, zumal in Personenfragen, doch über den Kopf durften sie ihm nicht wachsen, und ihr letztes Ziel, die Auf- hebung der Hardenbergischen Gesetze, erreichten sie niemals. Einmal, im Sommer 1825, wähnten die unbedingten Anhänger Oesterreichs schon einen entscheidenden Sieg errungen zu haben, als ihr Führer Herzog Karl von Mecklenburg mit dem Vorsitze im Staatsrath betraut wurde, einem Amte, das bisher nur Staatsminister bekleidet hatten. Im Schlosse Monbijon, das der Herzog bewohnte, führten Kamptz und General Müffling das große Wort; die Haller'sche Heilslehre wurde dort noch weit nachdrücklicher gepredigt als in dem Palaste auf der Wilhelms- straße, wo der Kronprinz seine romantischen Freunde um sich versammelte. Der König indeß, der von der staatsmännischen Begabung seines tapferen Schwagers offenbar nicht hoch dachte, hielt ihn sehr kurz; er erlaubte ihm nur, an den Sitzungen des Staatsministeriums schweigend theilzunehmen, damit er sich unterrichten und nöthigenfalls die Ueberweisung eines Gesetz- entwurfes an den Staatsrath beantragen könne. Sitz und Stimme im Ministerrathe wollte er ihm schlechterdings nicht gewähren, obgleich der Herzog flehentlich darum bat und sein Begehren durch wiederholte Abschiedsgesuche durchzusetzen versuchte. Also beschränkt blieb das Amt des Prinzen nicht vicl mehr als ein Ehrenposten.) Diese Politik der Vermittlung, die alle Parteien still unter der Glocke hielt und in der Gesetzgebung nur Schritt für Schritt behutsam vorging, ergab sich nicht bloß aus dem Charakter Friedrich Wilhelm's, sondern auch *) Herzog Karl an den König, 26. Aug. 1825, 9. Juni 1826, 29. Juli 1827; an Altenstein, 19. Mai 1826; an Lottum, 30. Juli, 30. Okt. 1827; Cabinetsordres an Herzog Karl, 31. Aug. 1825, 28. Juni 1826; an das Staatsministerium, 9. Dec. 1827.