Charakter der Provinziallandtage. 367 sichten, welche die Landtagsmarschälle zum Schluß veröffentlichten, gaben nur ein unvollständiges Bild; über den Gang der Verhandlungen sollte jeder Abgeordnete strenges Stillschweigen beobachten. Sogar das harm— lose, einem Gesammtlandtage unentbehrliche Recht, Petitionen entgegen— zunehmen und zu besprechen, war diesen Provinzialtagen versagt, offen— bar weil man fürchtete, ein Adressensturm in Posen oder am Rhein könne leicht staatsfeindlichen Zwecken dienen. Also blieb das Volk fast ohne Kunde von der Wirksamkeit seiner Vertreter. Die ständischen Verhand— lungen erzogen zwar einen kleinen Stamm politisch erfahrener Männer, aber auf weitere Kreise wirkten sie kaum ein, und noch lange bestand in Preußen nur eine einzige Partei mit bestimmten Zielen: die feudale. — Am erfreulichsten verliefen die Berathungen in Preußen und West— phalen. Dort im Osten erwachten wieder die stolzen Erinnerungen an den Königsberger Landtag und an das reichbewegte ständische Leben der Ordenszeit. Ein frischer Hauch jugendlicher Hoffnung und provinzialen Selbstgefühles durchwehte die Reden; man sprach gern, wie Schön, von „dem Königreich Preußen und Sr. Majestät übrigen Staaten“. Die Stände freuten sich der wiedergewonnenen altpreußischen Freiheit und hätten am liebsten ihren Sitz im Remter der Marienburg, dem Heiligthum des Landes aufgeschlagen, statt abwechselnd in Danzig oder Königsberg zu tagen. Die patriotische Gesinnung des Adels und der Allen gemeinsame starke Provinzialstolz ließen den Sondergeist der Klassen nicht aufkommen. Als ein Vertreter der Städte einmal mit der itio in partes drohte, da stürzte Alles entrüstet über ihn her, und die Stände erklärten dem Könige: von dem Rechte in Theile zu gehen würde der Landtag des Königreichs Preußen wohl niemals Gebrauch machen, da die Preußen verständen sich über das Interesse einzelner Stände und Landestheile zu erheben. Gleich in seiner ersten Tagung beantragte der Landtag — leider ohne Erfolg — den Druck der gesammten Verhandlungen, damit die Nation ihre Stände kennen lerne. Auch Schön, der königliche Commissar, setzte seine Ehre darein, den Landtag seiner Provinz zum Muster für die gesammte Mon— archie zu erheben. Tagten die Stände in Danzig, so bezog der Ober— präsident ein Landhaus in den Pelonken und fuhr täglich in die Stadt hinüber, um durch persönliche Zwiesprache, bald mahnend, bald drohend, die Unzufriedenen bei der Stange zu halten. Die entlegene Provinz stand zusammen gleich einer großen Familie. Im Ständesaale wurde Graf Alexander Dohna, der erste Landwehrmann von 1813, wie ein Patriarch verehrt; das ganze Land trauerte mit ihm als während des Landtags von 1827 die Nachricht von dem Tode seiner Schwägerin Julie Dohna, der Tochter Scharnhorst's, einlief; mit Thränen in den Augen umdrängten ihn die tapferen Preußen, da er nach seiner Gewohnheit noch eine Ab- schiedsrede hielt und mit den Worten Paul Gerhard's schloß: Gott gebe uns Allen ein fröhliches Herz!