376 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. landtage verlangte, da stieß sie nicht nur in Sachsen und Neuvorpommern, wo das alte Zunftwesen noch fortdauerte, auf zähen Widerstand; auch die Stände von Preußen, Altpommern, Posen, Westphalen erhoben heftige Beschwerden wider den Unsegen der Gewerbefreiheit. In Westphalen schürte der hochconservative Schriftsteller H. Schultz die zünftlerische Bewegung. Am lautesten klagte die Mark; Marwitz und der feudale Adel kämpften Schulter an Schulter mit den Berliner Stadtverordneten und ihrem ständischen Wortführer Kaufmann Knoblauch. Alle diese Unzufriedenen beriefen sich zuversichtlich auf ihre persönliche Erfahrung, die sie nach der alten Unart des politischen Dilettantismus kurzweg zur allgemeinen Regel erhoben, und meinten damit die Schulweisheit des grünen Tisches über- wunden zu haben; sie klagten über die unerträgliche Ueberfüllung des Gewerbs, während in Wahrheit die Zahl der Handwerker in den ersten zehn Friedensjahren nicht schneller als die Bevölkerung gestiegen war und erst seit 1825 etwas rascher wuchs. Der ganze Zug der Zeit ging wider die Gewerbefreiheit. Die romantische Dichtung, die historische Rechtslehre und neuerdings auch Hegel's Philosophie weckten den Deutschen wieder die Freude an dem vielgestaltigen Genossenschaftswesen ihrer Vorzeit; die Auf- hebung der Zünfte erschien jetzt Manchem nur wie ein bureaukratischer Gewaltstreich wider die germanische Freiheit. In den kleinen Staaten des Nordwestens wurde das Zunftwesen nach dem Sturze der Fremdherrschaft überall wiederhergestellt, zur Freude der großen Mehrzahl des seßhaften Bürgerstandes. Auch der süddeutsche Liberalismus bekannte sich noch nicht zu den wirthschaftlichen Theorien der französischen Revolution, weil der gewaltige Bahnbrecher der Gewerbe- freiheit, die Großindustrie noch kaum in das Oberland eingedrungen war. Rotteck warnte nachdrücklich vor der schwindelhaften Pfuscherarbeit des freien Gewerbes, und selbst der junge C. H. Rau, der die Lehren Adam Smith's zuerst in Süddeutschland einbürgerte, hielt die Vorzüge des Zunftwesens noch für überwiegend. Dazu die allgemeine Furcht dieses ver- armten Geschlechts vor dem Gespenste der Uebervölkerung. Jener freudige Glaube an den ewigen Fortschritt der Menschheit, der das achtzehnte Jahr- hundert so muthig und so leichtsinnig stimmte, war unter den Stürmen der Revolution längst verflogen. Der aufgeklärte Absolutismus hatte einst der Rekruten und Steuerzahler nie genug haben können; diese neue, durch tausend Drangsale heimgesuchte Zeit fragte besorgt, wie alle die Neu- geborenen ihr Brod finden sollten. Malthus' Bevölkerungslehre fand, durch den Kieler Hegewisch in Deutschland eingeführt, zahlreiche Gläubiger und ward von der kleinbürgerlichen Aengstlichkeit vielfach mißverstanden: statt durch die Entfesselung der wirthschaftlichen Kräfte freien Raum zu schaffen für ein unternehmendes junges Geschlecht, sollte der Staat vielmehr die vorhandenen Hausstände in ihrem Erwerbe schützen, die Eheschließung erschweren und sich der Nahrungslosen allenfalls durch die Auswanderung