390 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. mochten weder im Volke das kräftige Selbstgefühl eines bewußten Gemein— sinns zu erwecken, noch die Verwaltung jener beständigen, schonungslosen öffentlichen Kritik zu unterwerfen, welche in lebenskräftigen Monarchien die wichtigste und segensreichste Aufgabe des Parlamentarismus bildet, weil sie den Staat nöthigt alle seine Kräfte rüstig zusammenzunehmen. Ohne diese Ueberwachung mußte selbst der wohlgeordnete preußische Beamtenstaat, wie jede unbeschränkte politische Gewalt, schließlich in selbstgenügsame Er— starrung verfallen. — Für jetzt schienen solche Gefahren noch in weiter Ferne zu liegen. Die Masse des Volks war trotz so mancher wirthschaftlichen Nöthe unver— kennbar zufrieden mit der sorgsamen Verwaltung; sie lebte ihrer Arbeit, noch fast unberührt von politischen Gedanken, und hing mit kindlicher Treue an dem königlichen Hause. Allgemein war die Theilnahme, als der König im Jahre 1824 mit der Gräfin Auguste Harrach, die er zur Fürstin v. Liegnitz erhob, eine morganatische zweite Ehe einging; seit auch seine beiden jüngsten Töchter das väterliche Haus verlassen hatten, war ihm die Einsamkeit seines Wittwerlebens zur Qual geworden. „Nun wird das Richten angehen,“ sagte er zum Bischof Eylert, als er ihm den gänzlich unerwarteten Entschluß mittheilte, und Varnhagen allerdings fand kaum jemals eine so reiche Ernte für seine Tagebücher einzuheimsen wie in diesen ersten Tagen, da alle Welt den böhmischen Edelstein in Preußens Krone bespöttelte. Aber das Gerede der bösen Zungen verstummte, sobald der König selbst in einer veröffentlichten Urkunde seinem Volke treuherzig erzählte, wie einfach menschlich Alles zugegangen war. Die junge Fürstin blieb der Politik ganz fern, sie verstand mit feinem Takte sich in ihrer schwierigen Stellung unter den stolzen Hohenzollern zu behaupten, und als sie dann ihren Gemahl nach einem gefährlichen Beinbruch monate— lang mit aufopfernder Hingebung pflegte, da war Jedermann ihres Lobes voll; man fühlte, wie die edle Frau dem Vielgeprüften den Abend seines Lebens verschönte. Damals schloß Friedrich Wilhelm mit dem Leben ab, auf dem Krankenlager schrieb er sein Testament; jeden Tag der dreizehn Jahre, die ihm noch beschieden wurden, nahm er demüthig hin wie eine be— sondere Gnade Gottes. Der Mißmuth, der ihm vordem so oft die Tage verdorben, war von ihm gewichen; in der stillen Heiterkeit seines frommen Alters erschien er noch gütiger als sonst, freilich auch schwer zugänglich für neue Gedanken. Einige Zeit nach der Vermählung trat die Fürstin v. Liegnitz zur evangelischen Kirche über und erfüllte damit einen Herzens- wunsch ihres Gemahls, der auf die Dauer in einer gemischten Ehe sein Glück nicht hätte finden können; er betrachtete sich als Haupt und Schirm- herrn des deutschen Protestantismus und hielt für Fürstenpflicht, der pro-