Der Federkrieg um die Agende. 399 Oberhofprediger der größten und vornehmsten lutherischen Landeskirche Deutschlands hatte vor Kurzem noch die Union lebhaft angefeindet; jetzt fühlte er sich von Amtswegen gedrungen für die harten staatskirchlichen Grundsätze, wie sie im alten Kursachsen galten, mit rationalistischer Sal— bung einzutreten: untrennbar wie Mann und Weib im Haushalt sollten Staat und Kirche zu einander gehören, Alles unter dem Schutze „des Vaters des Lichts, der uns durch Kunst und Wissenschaft auf den rechten Glauben und durch die Wege des Rechts und der äußeren Ordnung auf die hohen Wohlthaten seiner Gnade und Wahrheit durch Jesum vorbereitet.“ Die beste Vertheidigungsschrift für die Agende kam indessen aus der Feder des Königs selber. Um dies sein Lieblingswerk zu halten, überwand er seine Schüchternheit und veröffentlichte ein kleines Buch „Luther in Be- ziehung auf die preußische Kirchen-Agende“ mit dem Motto: Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott des Friedens. Schlicht und liebevoll, ein Christ zu Christen sprach er hier zu der Gemeinde, mit der natürlichen Beredsamkeit eines frommen Herzens, und führte den Nach- weis, daß die Agende nur den alten reinen evangelischen Gottesdienst in seiner ursprünglichen Gestalt herstelle. Aber wie ahnte er doch so gar nichts von der Gewissenspein, welche sein „allein zur Ehre Gottes"“ be- gonnenes Unternehmen unzähligen frommen Herzen bereitete; nur aus Verblendung und vorgefaßten Meinungen konnte er sich den Widerspruch der „ungerechten Verfolger“ erklären. Unter diesen Verfolgern sah er zu seiner besonderen Betrübniß auch den ersten Theologen seines Landes. Seltsame Verschiebung der Parteien! Während Ammon, der Gegner der Union, jetzt den König vertheidigte, erhob sich der wirksamste Förderer der Kirchenvereinigung, Schleiermacher zum Kampfe wider die Agende. Seinem Scharfblick entging nicht, daß jede Veränderung des Gottesdienstes nothwendig auch den Glauben be- rührt, und ihm, der die Wurzel der Religion in dem Gefühle des gläu- bigen Herzens suchte, war selbst der Schein des Gewissenszwanges uner- träglich. Zudem wußte er, daß manche der alterthümlichen liturgischen Formen, welche der König allesammt für unabänderliche Regeln ansah, dem Bewußtsein der modernen Kirche bereits fremd geworden waren, und fühlte sich als Reformirter auch persönlich verletzt durch einzelne Vor- schriften der lutherischen Agende. Unter dem Namen Pacificus Sincerus sprach er sich freimüthig „über das liturgische Recht deutscher Landes- fürsten“ aus und forderte, daß die Ausübung dieses Rechts vertagt werde bis die evangelische Kirche eine dauernde Verfassung erlangt habe. Ueber die synodalen Formen dieser künftigen Verfassung gab Schleier- macher freilich nur unbestimmte Andeutungen. Hier lag die Schwäche des großen Theologen; sein Lebelang hing es ihm nach, daß er einst von der Herrnhuter Brüdergemeinde ausgegangen war, einer kleinen Gemeinschaft von Erweckten, die sich immer nur in der Winkelstellung einer unterdrückten