402 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. Neander hielten nicht für gerathen ihn über Alles zu unterrichten. So wurden denn für den guten Zweck zuweilen auch Mittel angewendet, welche der Simonie nahe kamen. Mitten im bildungsstolzen neunzehnten Jahrhundert wiederholten sich, minder gewaltsam, aber kaum minder ge— hässig, die Gewissensbedrängnisse jenes traurigen Zeitalters der Con— cordienformeln, da die kursächsische Pfarrerin zu ihrem Gatten sagte: schreibet, lieber Herre, schreibt, daß Ihr bei der Pfarre bleibt! Eine Cabinetsordre legte den Pfarrern den Wunsch des Monarchen ans Herz und versprach: „die Geistlichen, die was noth thut richtig auffassen“, würden im Ge— dächtniß des Königs bleiben. Manche der Nachgiebigen erhielten den rothen Adlerorden — non propter acta, sed propter agenda, wie Schleiermacher spottete — und Jedem, der sich widerspänstig zeigte, wurde die bei Amtsjubelfesten übliche Auszeichnung grundsätzlich vorenthalten. Der Direktor des brandenburgischen Consistoriums Keßler, ein trefflicher, keineswegs streng confessionell gesinnter Beamter, ließ sich ins Finanz- ministerium versetzen, weil er den kleinlichen Jammer dieses Agendestreits nicht mehr ansehen konnte. Und ein Jammer war es doch, wenn Eylert als königlicher Commissar in dem Fräuleinstifte zum Heiligen Grabe erschien um die frommen Seelen der alten Klosterdamen zu besänftigen, oder wenn gar der Oberpräsident von Sachsen persönlich die lutherischen Bauern im Dorfe Bergwitz bereden mußte, daß sie ihre Zustimmung zu dem gefürchteten „schwarzen Buche“ nicht wieder zurücknähmen. Mit Kummer bemerkte der Kronprinz, wie viel Niederträchtigkeit dieser Streit zu Tage brachte: feige Liebedienerei auf der einen, lieblosen Starr- sinn auf der anderen Seite. In den Kleinstaaten aber, wo man alle preußischen Sünden schadenfroh willkommen hieß, haftete fortan ein Makel an dem Namen der Union, und jeder weitere Fortschritt der Kirchen- vereinigung über Preußens Grenzen hinaus ward unmöglich'). Im Jahre 1827 hatten sich schon fast sechs Siebentel der evangelischen Gemeinden der Monarchie für die Annahme der Agende erklärt. Inzwischen war der König durch Schleiermacher's Widerspruch auf das Grundgebrechen seines Werkes aufmerksam geworden, und vielleicht noch tiefer berührten ihn die Bedenken des Königsberger Superintendenten Kähler, der in einer muthigen Schrift, ohne die Agende selbst zu bekämpfen, doch die aufgebotenen poli- tischen Machtmittel entschieden verwarf. Friedrich Wilhelm bemühte sich jetzt redlich, die strenge Einförmigkeit der gegebenen Regel zu mildern. Er berieth sich wiederholt mit namhaften Theologen und ließ sodann durch Bischof Neander's geschickte Hand Nachträge zur Agende ausarbeiten, welche — — — *) Das Buch von Wangemann, die kirchliche Cabinetspolitik Fried. Wilh. III. (Berlin 1884) bringt zwar manche dankenswerthe neue Mittheilungen; ich kann aber nicht finden, daß dem Verfasser die Rechtfertigung des Verfahrens der Regierung ge- lungen wäre.