Wachsende ultramontane Bewegung. 409 ultramontanen Presse ließ errathen, daß ein schärferer Wind von Rom her wehte. Im „Katholiken“ führte Görres das große Wort. Der wurde neuerdings, seit er die Märtyrerkrone des Verbannten trug, von den Rhein— ländern höher geehrt als vormals in der Heimath, und verlor sich immer tiefer in die phantastischen Irrwege des clericalen Demagogenthums. Für das deutsche Elend war ihm kein Wort mehr zu schlecht: da ward die Wahrheit von der Lüge genothzüchtigt, und alles Leben erschien nur wie eine schwammichte, unganze Nagelfluh! Den höchsten Grad menschlicher Freiheit fand er jetzt in den schweizerischen Urkantonen, weil dort katho— lische und republikanische Freiheit sich vermähle. Die Krummstabsherr— schaft, die er einst selber so köstlich verhöhnt, wußte er jetzt nicht genug zu preisen. Selbst die Hunde — so versicherte er in einem Aufsatz „Rom wie es ist“ — zeigten in der erlesenen Stadt des obersten Reichspflegers Gottes mildere Sitten als anderswo; und nun gar die unschuldige Sitt- samkeit der römischen Menschen spottete jeder Beschreibung, denn jeder Römer ging allsonntäglich zum Abendmahle, was doch ganz unmöglich war, wenn die frommen Seelen sich mit einer Todsünde belastet fühlten! Die Mehrzahl der rheinischen Geistlichkeit fühlte sich glücklich unter Spiegel's friedfertigem Walten. Aber fast in jeder größeren Stadt bestand eine geschlossene clericale Oppositionspartei, die dem Erzbischof unter der Hand entgegenarbeitete und namentlich sein Bonner Convikt als eine Pflanzschule kirchenfeindlicher Gesinnung verleumdete. Da war in Düssel- dorf der Jesuit Wüst, der Beichtvater der sinnigen Dichterin Luise Hensel, der Geliebten Clemens Brentano's, die sich vor dem Altar feierlich mit ihrem Bräutigam Christus verlobte — und so weiter überall kleine Kreise von Erweckten, überall offene oder geheime Gegner der ketzerischen Regie- rung. Der reizbare rheinische Particularismus ergriff begierig jeden Anlaß um den evangelischen Landesherrn der Bedrückung des Katholicismus zu bezichtigen. Die finanziellen Versprechungen der Uebereinkunft mit dem römischen Stuhle wurden so pünktlich erfüllt, daß Consalvi mehrmals für die Gewissenhaftigkeit und Großmuth des Königs seinen warmen Dank aussprach. Doch leider hatten Hardenberg und Niebuhr in Rom einen schweren Fehler begangen — den einzigen großen Mißgriff ihrer Unter- handlung —, der nun den Ultramontanen willkommenen Anlaß zu argen Verdächtigungen gewährte. Die Circumscriptionsbulle enthielt die Zusage, daß die der Kirche bewilligten Staatszuschüsse als Grundzinsen auf die Staatsforsten eingetragen werden sollten, falls bis zum Jahre 1833 ein genügender Theil der Domänen von der Haftbarkeit für die Staatsschuld frei würde; sei dies nicht möglich, dann werde die Krone für die Kirche Landgüter ankaufen, deren Ertrag den Staatszuschüssen entspräche. Der Staatskanzler hatte diese leichtsinnige Zusage gegeben, obwohl die große Mehrheit der Staatsminister entschieden davon abrieth, und nur zu bald zeigte sich, daß die Abtragung der Staatsschuld bei weitem nicht so schnell