424 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. Durch das Beamtenthum erfuhr die Krone was im Volke vorging und das Volk was Rechtens war; denn von dem öffentlichen Rechte des Landes, selbst von solchen Gesetzen, welche Jeden unmittelbar angingen, besaß die Masse noch gar keine Kenntniß, sie befolgte was die Behörden anordneten und beruhigte sich bei dem kindlichen Glauben, der auch selten getäuscht wurde, daß im königlichen Dienste Alles mit rechten Dingen zugehe. Mit gutem Grunde sagte man in den Beamtenkreisen: in Preußen macht der Staatsdienst fast die Verfassung selber aus. Im Staatsdienst allein konnte der Ehrgeiz des politischen Talents seine Thatkraft erproben; sehr selten fand sich in den höheren Ständen ein guter Kopf, der nicht einmal auf längere oder kürzere Zeit ein Staatsamt bekleidet hätte. Durch Rechtschaffenheit, Pflichttreue, gründliche Bildung übertraf der preußische Beamtenstand in dieser seiner klassischen Epoche jede andere regierende Klasse in Europa. Selber ohne wirthschaftliche Klassenselbstsucht, vermochte er, wie das Königthum, dem er diente, die Interessenkämpfe der bürger- lichen Gesellschaft gerecht und unbefangen zu betrachten. Aber er stand dem Leben zu fern, er gewann in der Stille seiner Amtsstuben nur selten ein vollständiges Bild von den Wünschen und Bedürfnissen des arbeitenden Volks, er vergeudete viel gute Kraft in formenseliger Papierthätigkeit und trug ein Selbstgefühl zur Schau, das den Deutschen draußen im Reich ein Gräuel war. Wenn die steifen, sparsamen Berliner Geheimen Räthe im Sommer nach Karlsbad oder Ems kamen, um sich von den Plagen des arbeitsreichen Winters zu erholen, dann ärgerte sich der ge- müthliche süddeutsche Badegast an dem scharf absprechenden Wesen der gestrengen Herren um so gründlicher, da er ihnen die geistige Ueberlegen- heit selten bestreiten konnte. Der Stolz der Beamten stand niemals höher als in diesen Tagen, da ihr Staat in der großen Politik eine so bescheidene Rolle spielte, und vertrug sich sehr wohl mit dem altpreußischen Erbfehler der Tadelsucht. Ganz unleidlich erklang das Selbstlob der Bureaukratie in der Schrift des Regierungsraths Wehnert über den Geist der preußischen Staats- organisation. Mit dem unfehlbaren Dünkel eines Standes, „der wissen- schaftliche Cultur und Erfahrung des Geschäftslebens“ in sich vereinigte, sah der gescheidte und wohlmeinende Beamte hernieder auf „die öde Pedanterie und die gewagte Speculation einseitiger Gelehrten“. Er erklärte das Beamtenthum für „die eigentliche ideelle Kraft des Volksgeistes“ und versicherte herablassend: „der Widerstreit der Verfassungsformen, der heute die Welt erschüttert, geht an Preußen vorüber"; erst wenn die Provinzial- stände in ihrem bescheidenen Wirkungskreise die nöthige Reife erlangt hätten, wollte er dereinst einmal die Reichsstände berufen sehen. So wenig ahnte man in diesen Beamtenkreisen von der revolutionären Macht der constitutionellen Ideen. Ein mächtiger Bundesgenosse erstand der bureaukratischen Selbst-