A. v. Humboldt in Berlin. 431 Potsdam, von tausenden ehrfürchtiger Zuschauer bewundert, in goldenem Aarhelm und schimmernder Rüstung Carroussel ritten um ihrer Schwester Charlotte, der weißen Rose, ritterlich zu huldigen, zog schon der Sturm— vogel der Revolution, die Stumme von Portici über die Theater Europas und verkündete das Nahen eines demokratischen Zeitalters, das mit seinen Volksfesten und politischen Kämpfen den Glanz der Höfe ganz ver— dunkeln sollte. Doch solche Tage, da der Hof aus seinem Stillleben heraustrat, erschienen nur selten. Auch andere Stätten großstädtischer Geselligkeit besaß Berlin nur wenige. Fast allein in den reichen Häusern Mendels- sohn und Meyerbeer, in den bescheidenen Salons Stägemann's und seiner liebenswürdigen Damen oder in der Gesetzlosen Gesellschaft, wo Schleier- macher und der biderbe Zwingherr Buttmann um die Wette die Funken ihres Witzes sprühen ließen, fanden geistreiche Menschen verschiedener Ge- sinnung noch einen neutralen Boden für ungezwungenen Verkehr. Sonst bestanden überall nur geschlossene kleine Parteien und Kränzchen; selbst der schöngeistige Kreis der Rahel Varnhagen trug schon die Färbung einer literarisch -politischen Parteigesinnung. In den langen Jahrhunderten deutscher Ohnmacht war aus dem alten Germanentrotz ein kleinlicher, neidischer Sondergeist aufsgewuchert und den Deutschen zur anderen Natur geworden; er trieb die Studenten in die Hahnenkämpfe ihres Verbindungs- lebens, er verdarb die städtische Geselligkeit durch ein unleidliches Cliquen— wesen, und auch Deutschlands größte Stadt war ihm noch nicht entwachsen. Gelehrte und Schauspieler, Schriftsteller und Künstler saßen in ihren Fraktionen und Schulen eng zusammen, anmaßend, unduldsam gegen den Nichtgenossen, grenzenlos ungerecht gegen den Feind. In dieser zerklüfteten und zerrissenen Welt war weder das urbane Wohlwollen der großstädtischen Gesellschaft Italiens zu finden, noch jener durchgebildete Nationalstolz der Franzosen, der jedes große Talent als ein Stück vaterländischen Ruhmes hoch hält. Vor Fremden prahlten die Berliner gern mit dem geistigen Glanze ihrer Stadt; daheim bestrebte sich Jeder, schon damit man ihn nicht selber für einen Dummkopf hielte, alles Hervorragende herabzusetzen, Alles ruppig zu machen, wie Rahel sich auf gut berlinisch ausdrückte. Darum blieb auch die Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten unnatürlich weit. Der ehrsame Bürger, der Abends unter den Zelten seine Weiße trank, wußte gar nichts von den Größen der Akademie und der Universität; war doch die herrschende Philosophenschule geflissentlich bemüht, durch eine unver- ständliche Kunstsprache ihre Weisheit allen Unzünftigen zu verschließen. — Da kehrte im Jahre 1827 Alexander Humboldt nach Berlin zurück, um fortan nach dem Wunsche des Königs in freier Muße am heimischen Hofe zu leben. Es war ein Wendepunkt in der Geschichte unserer Bildung. Denn heilsamer konnte Niemand auf das zerfahrene deutsche Leben ein- wirken als dieser universale Geist, der für Jeden eine höfische Schmeichelei