436 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. unansehnliche kleine Mann manchem der Unglücklichen, die er in seinen Krallen hielt, mit überraschender Freundlichkeit; aber war das ein Trost für die Folterqual der endlosen Untersuchungshaft? In dem alten Schlosse Köpenick an der Spree, dicht neben dem berühmten Wappensaale, wo einst jenes tapfere Kriegsgericht das Leben des Kronprinzen Friedrich gegen seinen eigenen Vater vertheidigt hatte, saßen jetzt die Demagogen hinter verblendeten Fenstern und blickten hinaus auf ein viereckiges Stück grauen Himmels; nur einige Stunden lang durften sie unter den Bäumen des Parks umhergehen oder im Flusse baden. Auch die Berliner Gefängnisse waren angefüllt mit Opfern der politischen Verfolgung, und das Stu— dentenlied spottete: „wer die Wahrheit kennet und sagt sie frei, der kommt nach Berlin auf die Hausvogtei.“ Die große Mehrzahl der Beamten zog sich, nachdem der erste Schrecken verraucht war, von dem Unwesen der Demagogenverfsolger angeekelt zurück und betrachtete den kleinen um Kamptz geschaarten Häscherhaufen wie eine Pestbeule am Leibe ihres ehrenhaften Standes. Um den rheinischen Schwurgerichten die politischen Verbrechen zu entziehen, befahl der König (6. März 1821), daß für alle Vergehen wider die Sicherheit des Staates die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts und der altländischen Criminal- ordnung gelten sollten; diese Cabinetsordre erhielt rückwirkende Kraft, nur wurden die Richter angewiesen, bei der Strafabmessung für frühere Fälle stets das mildere Gesetz anzuwenden. Die Minister des Innern und der Polizei empfingen den Auftrag, über das Betragen der Lehrer Bericht zu erstatten, da die Umtriebe in der Verführung der Jugend ihre Wurzel hätten.)) Bei der Anstellung von Jugendlehrern und Geistlichen sollte fortan das Gutachten dieser beiden Minister eingeholt, gegen die Absetzung demagogischer Lehrer nur noch ein Recurs an das Ministerium gestattet, jede geheime Studentenverbindung aber ohne Weiteres vor die Strafgerichte verwiesen werden. Wie lächerlich erschien neben diesem gewaltigen Rüstzeuge der Erfolg der Untersuchungen. Was mußten preußische Patrioten empfinden, wenn sie den Königsmörder Carnot, der in Frankreich unmöglich war, unter dem Schutze der preußischen Krone frei in Magdeburg leben sahen und damit verglichen, wie der königstreue Jahn jahrelang gepeinigt wurde. Vergeblich betheuerte der Turnvater: „Eigene Ansichten mögen meine Auf- sätze leicht enthalten, aber keine umkehrerischen Absichten. Von geheimen Umtrieben bin ich weder Mitwisser noch gar Mittreiber.““) Vergeblich beantragte Kammergerichtsrath Hoffmann schon nach einigen Monaten die Freilassung des offenbar Unschuldigen. Man gestattete ihm nur, auf der Festung Kolberg in leichter Stadthaft zu leben; dort mußte er noch bis *) Cabinetsordre an Schuckmann und Wittgenstein, 12. Nov. 1819. **) Jahn an Schuckmann, 5. Sept. 1819.