Erstarrung der norddeutschen Kleinstaaten. 187 ihrem alten Gebiete, ihren angestammten Fürstenhäusern und ihrem pro— testantischen Sonderleben auch die Verfassungsformen des alten Jahr— hunderts: Kurhessen seinen höfischen Absolutismus, Sachsen, Hannover, Mecklenburg ihre ständische Vielherrschaft, die Hansestädte ihre bürgerliche Oligarchie. In Sachsen und Mecklenburg war die alte Ordnung inmitten der Stürme einer ungeheuern Zeit unwandelbar geblieben, in Hessen, in den welfischen Gebieten und den freien Städten wurde sie nach der kurzen Episode einer verhaßten Zwischenherrschaft fast unverändert wiederher— gestellt. Aengstlich sperrten sich alle diese Territorien gegen jede Neuerung ab. Auf Hannover und Holstein lastete zudem noch die Fremdherrschaft, die selbst wo sie willig ertragen wird, überall lähmend wirkt, und den Hansestädten erschwerten die weltbürgerlichen Interessen ihres Freihandels die Theilnahme an der nationalen Politik. In Oesterreich und in der trägen Masse dieser kleinen norddeutschen Gebiete lagen die hemmenden Kräfte unseres Staatslebens, in Preußen und den süddeutschen Territorien die Kräfte der Bewegung, obschon die liberale Durchschnittsmeinung jener Tage alle Schuld des deutschen Elends kurzerhand den beiden Großmächten aufzubürden liebte. Erst durch die Nachwirkungen der Julirevolution sind diese Gegensätze etwas gemildert, einige Kleinstaaten Norddeutschlands zum Repräsentativsystem hinübergedrängt worden. In dem wunderlichen Wirrsal der deutschen Bundespolitik konnte aber die Unvernunft zuweilen Segen bringen, da die Vernunft unmöglich war. Die verknöcherten Verfassungen des Nordens bewahrten Deutsch— land in den zwanziger Jahren vor der Gefahr der Trias, des Sonder— bundes der Mittelstaaten, denn zwischen der bairisch-württembergischen Bureaukratie und dem altständischen Regimente Sachsens oder Hannovers war jede Verständigung undenkbar. Sie bewahrten aber auch die preu— ßische Politik vor dem verderblichen Plane der Mainlinie, der in Berlin jederzeit mächtige Fürsprecher fand; denn die adlichen Landtage des Nor- dens fürchteten in Preußens starker Krone den geborenen Feind ihrer ständischen Libertät und vermieden mißtrauisch jede Annäherung an den norddeutschen Großstaat, grade weil sie wußten, daß sie seinem natürlichen Machtgebiete angehörten. Die Regierungen des Südens fühlten sich nicht so unmittelbar bedroht, sie vermochten die Leistungen der preußischen Ver- waltung unbefangener zu würdigen, und da die Oberländer vor den nach- tragenden Norddeutschen die glückliche Gabe voraus haben, alten Groll gründlich zu vergessen, so konnte es geschehen, daß die Kernlande des Rheinbundes sich zu dem Berliner Hofe bald freundlicher stellten als seine nächsten Nachbarn und eine Vereinbarung zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten den Grund legte für die wirthschaftliche Ein- heit der Nation. — Von keinem seiner kleinen Nachbarn durfte Preußen zur Zeit weniger Vertrauen erwarten als von dem Königreich Sachsen, dem alten unglück-