490 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. Constitutionen sicherten dem Lande eine wohlgeordnete Rechtspflege; die Musterwirthschaft der Kammergüter erlangte einen hohen Ruf; herrliche Schlösser und kostbare Sammlungen erzählten von dem Geschmack und dem Glanze des reichsten deutschen Hofes. Handel und Wandel gediehen unter dem Schutze des Augsburger Religionsfriedens, zumal seit die alte meißnische Betriebsamkeit an den gastlich aufgenommenen niederländischen Flüchtlingen kunstfertige Helfer fand, und nicht mit Unrecht nannte das dankbare Land den kalt rechnenden, bis zur Grausamkeit hartherzigen Kurfürsten seinen Vater August. Es ward aber verhängnißvoll für die politische Gesinnung von Fürst und Volk, daß gerade in diesem goldenen Zeitalter der meißnischen Landesgeschichte die kurzsichtige deutsche Politik der Albertiner die neu errungene Macht Kursachsens schon wieder zu unter- graben begann. In einer schicksalsschweren Zeit, da der Protestantismus noch die jugendliche Kraft des Eroberers besaß, da die Heldenkämpfe der Niederländer und der Hugenotten, die geheimen Umtriebe der Jesuiten, die gefährliche Vieldeutigkeit des Religionsfriedens und die anarchische Verwirrung im Reiche den evangelischen Reichsständen die Pflicht aufer- legten, sich in brüderlicher Eintracht zum Kriege wider die habsburgische Weltmacht zusammenzuschaaren, vertrieb Kurfürst August die Krypto- Calvinisten aus seinem Lande und sagte durch die starren Formeln seines Concordienbuchs den willenskräftigsten Protestanten, den Reformirten die Freundschaft auf. Seit diesem „Siege Christi über Teufel und Vernunft" verfällt Kur- sachsen der Glaubenseinheit des orthodoxen Lutherthums. Die sprich- wörtliche Kurfrömmigkeit des Dresdner Hofes entfremdet sich gänzlich dem ursprünglichen Geiste der Reformation, sie sieht in der evangelischen Lehre nicht mehr eine befreiende Macht für die gesammte Christenheit, sondern ein behagliches Besitzthum für einen bevorzugten Kreis von Gläubigen. Taub für die Hilferufe des großen Oraniers und die Todesnoth der Glaubensgenossen am Niederrhein, schließt sich der mächtigste evangelische Reichsfürst dem Hause Oesterreich an und sucht durch schwächliche Zu- geständnisse an die rastlos vordringende römische Partei das Gleichgewicht der Bekenntnisse im Reiche nothdürftig aufrecht zu halten, während der Heidelberger Hof bereits alle aufstrebenden, streitbaren Kräfte des deutschen Protestantismus um sich schaart. Die dynastische Eifersucht wider die ehrgeizigen Kurpfälzer, der lutherische Haß gegen den Calvinismus und nicht zuletzt der lang nachwirkende Fluch alter Schuld, die stille Furcht vor den unversöhnten ernestinischen Vettern bestärken das albertinische Haus in der Ruheseligkeit seiner conservativen Friedenspolitik. Nur einmal seit Moritz's Tode wagte Kursachsen in die Bahnen einer großen protestan- tischen Politik einzulenken: als Christian I. und sein unternehmender Kanzler Crell, des alten Bruderzwistes vergessend, mit Kurpfalz und den Hugenotten über die gemeinsame Vertheidigung des evangelischen Glaubens