Kursachsen als Haupt des Lutherthums. 191 sich zu verständigen suchten. Aber kaum hat der junge Kurfürst die Augen geschlossen, so erhebt sich das harte Lutherthum des Hofes, der Landstände, der Theologen zu einer blutigen Reaktion; dem Spruche eines böhmischen Gerichtes preisgegeben muß der sächsische Kanzler mit seinem Kopfe dafür büßen, daß er sich erdreistet hat, das fromme Kurhaus von dem Erzhause abzuziehen. Seitdem stehen die Albertiner, den Reformirten tödlich ver— feindet, beharrlich im österreichischen Lager; an jedem Sonntag bitten die sächsischen Lutheraner ihren Gott, sie zu bewahren vor der Calvinisten Teufelskünsten; es kommt so weit, daß der Dresdner Hof ernstlich daran denkt, sich der katholischen Liga anzuschließen. Als nun der dreißigjährige Krieg hereinbricht — nicht ohne die schwere Mitschuld der selbstmörderischen Politik dieses entarteten Lutherthums —, da kämpft der mächtigste evangelische Kurfürst nur vier Jahre lang für die Sache seines Glaubens. Unter den Jubelrufen der Dresdner Hof- prediger wird das Königthum der Pfälzer in Böhmen durch die katho- lische Liga niedergeschmettert, mit Sachsens Hilfe unterwirft sich das Haus Oesterreich die evangelischen Rebellen in Schlesien, und noch einmal schallen durch die protestantische Welt die Zornreden wider den sächsischen Judas, als Johann Georg I. durch den Prager Sonderfrieden seine Glaubens- brüder preisgiebt und zum Lohne den Besitz der Lausitzen erhält. In den großen Katastrophen der Geschichte pflegen Schuld und Ver- hängniß sich unzertrennlich zu verketten; dies Fürstenhaus aber verscherzte sich allein durch seine eigene Verblendung und Zagheit den ersten Platz unter den evangelischen Reichsständen. Der große Kurfürst ward sein Erbe, er sicherte im Westphälischen Frieden den Reformirten die Duldung, dem Widerspruche des Dresdner Hofes zum Trotz, er übernahm die Füh- rung der deutschen Protestanten. Ebenso feindselig wie einst gegen Kur- pfalz richtete sich fortan das Mißtrauen der kursächsischen Politik gegen den aufstrebenden Brandenburgischen Nachbarn. Und wie die Macht des Landes sank, so verknöcherte auch sein Verfassungsleben. Unter Moritz und August hatte sich die altständische Libertät einem kraftvollen monar- chischen Willen beugen müssen; unter dem schlaffen Regiment der beiden Christiane und der vier Johann George reckte sie sich wieder behaglich aus. Kursachsen wird das classische Land des altlutherischen Episcopal- systems, das in dem Leipziger Benedikt Carpzov seinen wissenschaftlichen Verherrlicher fand. Unumschränkt schaltete in Staat und Kirche der Lehrstand verschwä- gerter und vervekterter Theologengeschlechter; mit ihm fest verbündet der Wehrstand, damals wie heute der hochmüthigste Adel des Deutschen Reichs. Dem geplagten Nährstande war auferlegt, in der Kirche die Heilswahr- heit aus dem Munde der Heiligen des Herrn dankbar zu empfangen, dem Staate nach den Beschlüssen des adligen Landtags gehorsam die Steuern zu zahlen. Wohl kam das Ansehen der Krone in den größeren