534 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. bürgerliche Leichenwagen vernichtet, der Leichnam ausgegraben und hinter der Stadtmauer verscharrt wurde.') Die beiden ehrenwerthen Minister Witzleben und Krafft forderten endlich angeekelt ihre Entlassung. Nun blieben nur noch Minister Schminke, ein bequemer Schlemmer, und der zum Freiherrn v. Meysenbug erhobene Cabinetsrath Rivalier, der zu- weilen einmal eine Gewaltthat verhinderte, aber auch nur ein gefügiger Hofmann war. Neue widerrechtliche Steuern, Taxen und Polizeistrafen sollten die leeren Staatskassen füllen. Sogar die Wachsbilder seiner Ahnen im Casseler Museum ließ der Kurfürst einschmelzen um den Preis des Wachses einzustreichen. Sein Hausvermögen legte er theils in aus- ländischen Capitalien an, theils in böhmischen Landgütern für die Kinder der Reichenbach. Dem bedrückten und vernachlässigten kleinen Manne versperrte der thörichte Zollkrieg gegen Preußen auch noch den nachbarlichen Verkehr. Die Unzufriedenheit war allgemein, Schmuggel und Wilddieberei nahmen überhand. Das letzte Bollwerk gegen die Willkür bildeten die Gerichte, die in dieser argen Zeit ihren guten Ruf abermals bewährten. Wie einst Gerichts- rath Pfeiffer noch unter dem alten Kurfürsten für die Domänenkäufer einge- treten war, so widerlegten jetzt der wackere Präsident Wiederhold und das Casseler Oberappellationsgericht durch die That das liberale Vorurtheil, das eine freie Rechtspflege in höfischer Luft nicht für möglich hält; wo sie nur konnten, nahmen sie sich des guten Rechts der Beamten, der Staats- gläubiger, der Steuerzahler an, doch ihre Macht reichte nicht weit. Die zwecklose Nichtigkeit des politischen Lebens hatte der hessische Kurstaat mit allen deutschen Kleinstaaten gemein; eigenthümlich war ihm eine gewissen- lose Tyrannei, die von der wohlmeinenden Beschränktheit der meisten andern deutschen Höfe häßlich abstach und fast an Neapel oder Modena erinnerte. Noch unaufhaltsamer als Sachsen trieb dieser Staat einer gewaltsamen Erschütterung entgegen. — Kurhessen litt unter der Willkür seiner Fürsten; die kaum minder krankhaften Zustände des Königreichs Hannover entsprangen dem ent- gegengesetzten Grunde, der Schwäche der monarchischen Gewalt. Unge- heure Schicksalswechsel, wie sie nur Deutschlands Geschichte kennt, waren über dies, niedersächsische Gebiet dahingegangen, bis es nach langer Ohn- macht einen Theil seiner historischen Machtstellung zurückerlangt hatte. Mit diesem zähen niederdeutschen Sonderleben hatten einst Römer und Karolinger in endlosen Kriegen gerungen; an ihm fand die nationale Monarchie ihren starken Rückhalt so lange sie in sächsischen Händen blieb, *) Hänlein's Bericht, 3. Okt. 1824.