Die Georgia Augusta. 549 herrschaft — nach einander nur fünf Männer die Geschäfte der Univer— sität: zuerst ihr Stifter Münchhausen, dann Brandes Vater und Sohn und die beiden Brüder Hoppenstedt, alle fünf ausgezeichnet durch hohe Bildung, Menschenkenntniß, Feinheit. So vererbte sich eine akademische Familientradition von Geschlecht zu Geschlecht; mit einem Zartgefühle, das sich in einem großen Staate von selbst verboten hätte, wurde die Empfind- lichkeit der Gelehrten geschont. Als der große Blumenbach auf seine alten Tage die lästige Gewohnheit annahm, alle Amtsschreiben, die er wegen der Naturwissenschaftlichen Sammlungen erhielt, ungelesen in den Papier- korb zu werfen, da wußte Hoppenstedt jede Ombrage zu vermeiden; er ließ fortan die Ministerialschreiben in zwei Abschriften nach Göttingen sen- den, die eine verschwand in Blumenbach's Papierkorb, die andere gelangte an den zweiten Direktor der Sammlungen. War ein Lehrstuhl erledigt, so wurden zunächst bei Heyne, Heeren oder anderen vertrauten Professoren Erkundigungen eingezogen, dann alle gelehrten Stachelschweine, die etwa Unfrieden erregen konnten, sorgfältig aus der Liste entfernt und schließ- lich, ohne Rücksicht auf die Kosten, fast immer ein tüchtiger und fried- fertiger Mann berufen. Philosophie und schöne Literatur wollten in der kühlen Göttinger Luft freilich nicht gedeihen, aber in jeder Facultät wirkten ausgezeichnete Fachmänner, in der juristischen neben dem alten Hugo der beliebteste aller Rechtslehrer, K. F. Eichhorn, und mit Recht durfte Gauß rühmen, für die Phrase sei hier nie ein Boden gewesen. Niemals früher hatte die Georgia Augusta sich eines so zahlreichen Besuchs erfreut; der sprichwörtliche Stolz ihrer Hofräthe war um so begreiflicher, da das Welfen- land keine andere Stätte höherer Bildung besaß. Der Hauptstadt fehlten alle die Kunstwerke und Sammlungen, mit denen die deutschen Höfe ihre Residenzen zu schmücken pflegten; der Fremde fand hier außer dem schönen alten Rathhause nichts Merkwürdiges zu sehen als etwa die Isabellen des Marstalls. Auch in den anderen Städten war wenig Leben. Der gewaltige Verkehr, der sich einst in althansischer Zeit um die Ilmenaubrücke zu Lüneburg bewegt, hatte längst andere Wege eingeschlagen; die feierliche Pracht der Kirchen und die kunstvollen Holz- schnitzereien an den Bürgerhäusern Hildesheims erzählten auch nur von längst verschwundener Größe. Das heitere fränkische Völkchen droben im Harz dünkte sich zwar, im Bewußtsein seiner bergmännischen Kunstfertig- keit, weit gewitzter als die schwerfälligen Niedersachsen der Ebene, aber der wirthschaftliche Unternehmungstrieb fehlte auch dort; die königliche „Herr- schaft“ besaß die Forsten wie die Gruben, sie mußte in jeder Noth durch Brotkorn und andere Hilfe ihren Bergknappen beispringen. Noch sorg- loser als unter der väterlichen Berghauptmannschaft zu Clausthal lebte sich's in dem Paradiese der deutschen Kleinstaaterei, dem Communionharze, der einige Bergwerke und Ortschaften mit etwa 700 Einwohnern umfaßte und ein Jahr ums andere abwechselnd von Hannover oder von Braun-