Braunschweig. 557 große Krisis der Landwirthschaft schwer empfunden, nun brachte noch eine arge Mißernte die Bauern in Harnisch. Eine Fülle unversöhnter Gegensätze war in diesem seltsamen Staate aufgewuchert: die Provinzialstände standen gegen die allgemeinen Stände, die zweite Kammer gegen die erste, die Steuerkasse gegen die Kronkasse, die Beamten gegen den Landtag, die bürgerlichen Staatsdiener gegen den Adel, die Bauern gegen die Grundherren, die Bürger gegen die allmächtigen Stadträthe, das hannoversche Ministerium gegen die deutsche Canzlei in London. Noch war die Mißstimmung bei Weitem nicht so ernst wie in Kurhessen; aber Graf Münster ließ sich in seinem fernen Putney-Hill von den Beschwerden des deutschen Landes nichts träumen, und so drohten auch diesem führerlosen Staate unberechenbare Verwicklungen. — Der üble Ruf, dessen die Welfen seit dem Proceß der Königin Caro— line in Deutschland genossen, verschlimmerte sich noch, als bald nachher der alte Haß der beiden Hauptlinien des Hauses von Neuem ein öffent— liches Aergerniß gab. Die ältere herzogliche Linie hatte aus den Länder— theilungen der Welfen nur einige Fetzen niedersächsischen Landes davon getragen, die von Holzminden an der Weser bis zum Magdeburgischen hinüber zerstreut lagen. Obgleich die socialen Verhältnisse dieses Länd- chens denen der benachbarten lüneburgischen Gebiete glichen, so gelangte doch der Adel hier niemals zu so unumschränkter Herrschaft wie in Han- nover, weil die Herzoge daheim blieben. Braunschweig lernte unter seinem geistreichen Herzog Karl manche Sünden des Absolutismus, den Hof- prunk, den Soldatenhandel, die französische Verbildung gründlich kennen, aber auch viele Wohlthaten dieser Staatsform. Unter Karl Wilhelm Fer- dinand wurde sodann der arg zerrüttete Staatshaushalt durch einen treff- lichen bürgerlichen Minister, Feronce, neu geordnet, und es begann eine Epoche sorgsamer Verwaltung, freier Presse, blühenden Schulwesens, die von dem Volke noch lange nachher als die gute alte Zeit gesegnet wurde. An Talent und Heldensinn war die ältere Linie den englischen Welfen weit überlegen. In der deutschen Politik ging sie fast immer andere Wege als ihre königlichen Vettern. Sie verschwägerte sich mit den Hohenzollern und schloß sich eng an Preußen an; mehrere ihrer Prinzen starben den Heldentod unter Preußens Fahnen; auch jener Leopold, der als Menschen- retter in den Wellen der Oder sein Grab fand, war preußischer Offizier. Dies Verhältniß begann sich zu ändern, nachdem auch Karl Wilhelm Ferdinand seine preußische Treue mit dem Leben bezahlt hatte. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm, der Held der schwarzen Schaar, konnte als Fürst ohne Land und Todfeind Napoleon's zunächst nur bei England Hilfe suchen. Durch Englands Fürsprache erhielt er sodann im Befreiungs- kriege seine Erblande zurück. Als er bei Quatrebras fiel, hinterließ er ein Testament, das die Regentschaft sowie die Vormundschaft über seine beiden minderjährigen Söhne dem Prinzregenten von Großbritannien über-