588 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. die beiden Nationen. Den schwerfälligen, langsam erwarmenden, grund— ehrlichen Holsten mißfiel das bewegliche und verschlagene dänische Wesen; seit dem Königsgesetze herrschte auch im dänischen Staate ein bürgerlich— bureaukratischer Geist, der sich mit der aristokratischen, altständischen Selbst— verwaltung der Herzogthümer schwer vertrug. Aber noch waren diese Gegen— sätze dem deutschen Grenzvolke nicht zum Bewußtsein gekommen. Man hatte so lange Freud und Leid mit einander getheilt, so lange in gemein— samer Verehrung emporgeblickt zu den langweiligen oldenburgischen Fried— richen und Christianen, die sich zumeist nur durch die Ziffer hinter ihrem Namen von einander unterschieden, und noch in den zwanziger Jahren sagte mancher ehrliche Deutsche in Schleswig arglos: Seeländer und Jüten, Holsten und Isländer seien allesammt gute Dänen. In vielhundertjährigem Sonderleben hatte der deutsche Particula— rismus sich hier natürlich sehr stark und eigenartig ausgebildet. Er war nicht eigentlich politisch, da der seltsame Zwitterzustand des Landes zu politischem Ehrgeiz keinen Anlaß bot, sondern bekundete sich, ganz wie bei den Schwaben, in der Unduldsamkeit eines unermeßlichen persönlichen Selbstgefühls. Für den Kieler vom alten Schrot und Korn bestanden auf Erden nur zwei Nationen: die „Butenminschen“ und wir; die erstere umfaßte Alles was über Lübeck und Hamburg hinaus bis zum Südpole wohnte und wurde nur mit sehr gemäßigter Hochachtung betrachtet. Und dies Selbstbewußtsein war nicht grundlos. Im Verlaufe einer ehren- reichen Geschichte hatten sich diese Sachsen, Ditmarschen, Angeln und Friesen ein lebendiges Gemeingefühl gebildet, ihre alte Volksfreiheit und ihre deutsche Eigenart tapfer behauptet. Die vielgefeierte Holstentreue stand selbst unter den treuen Deutschen in besonderem Ansehen, und wie viel köstliche geistige Kraft hier noch schlummerte, das bewies im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert die Kunstfertigkeit der holsteinischen Holz- schnitzer, das bewiesen neuerdings Carstens und die beiden Nicbuhr. Wäh- rend der literarischen Bewegung des alten Jahrhunderts zeigte die ent- legene Mark mehr dankbare Empfänglichkeit als schöpferische Kraft; nur der Eutiner Freundeskreis der Stolberg, Voß, Boie, Jacobi und der Wandsbecker Bote des frommen Matthias Claudius zählten mit in den Kämpfen der Zeit. Auch von der nationalen Leidenschaft des Befreiungs- kriegs verspürte man in Schleswigholstein wenig. Aber in seiner Abge- schiedenheit bewahrte sich das hochbegabte Volk eine glückliche Frische der Empfindung, und in der nächsten Generation sollte dieser Boden, der so lange brach gelegen, dem Vaterlande eine erstaunliche Fülle literarischer und politischer Talente schenken. Da der abwesende König seine deutschen Herzogthümer der Regel nach sich selber überließ, so wurde Schleswigholstein, in noch höherem Maße sogar als Hannover, ein Land des Herkommens und der uralten Gewohn- heiten. Wie viele natürliche Gegensätze drängten sich hier auf dem schmalen