598 III. 7. Atständisches Stillleben in Norddeutschland. Noch ein anderes Formbedenken lag der Beschwerde im Wege. Schles- wig gehörte nicht zum Deutschen Bunde, der Bundestag war nicht befugt sich um dies Land zu kümmern, darum hatten auch nur die Holsteinischen Ritter sich nach Frankfurt gewendet. Für eine kühne, weitausschauende deutsche Politik war dies freilich kein Hinderniß. Warum sollte der Bundestag minder muthig sein, als Kaiser Leopold I., der einst den Dänen erklärt hatte, wer Holstein schützen wolle müsse sich auch in Schleswigs Wirren mischen? Wenn der Bund für die Untrennbarkeit Schleswig- holsteins entschieden eintrat, so wahrte er zugleich ein unbestreitbares Recht des Bundeslandes Holstein und bereitete vielleicht für die Zukunft den Eintritt Schleswigs vor, das schon einmal, im dreißigjährigen Kriege, zu den Reichslasten beigestenert hatte. Aber zu solchen Gedanken ver- mochte sich weder der Bundestag noch die Nation zu erheben. Die deutsche Presse betrachtete die Frage mit einer Gemüthsruhe, die nur zu deutlich zeigte, daß noch fast Niemand etwas ahnte von der welthistorischen Be- deutung des Kampfes, der sich hier ankündigte; einzelne liberale Blätter fanden den Eifer der nordalbingischen Privilegirten fast lächerlich. In Frankfurt aber herrschte eine rein formalistische Ansicht vom Bundesrechte. Da Oesterreich, Preußen, Luxemburg dem Bunde aus guten Gründen jede Einmischung in die Angelegenheiten Ungarns, Posens, Hollands versagten, so wollten sie den Bundestag auch den schleswigschen Händeln fern halten. Ueberdies war man in der Eschenheimer Gasse schon längst geneigt, jede Beschwerde von Unterthanen wider die Obrigkeit als gefährliche Wider- setzlichkeit zu betrachten. In einem Gutachten, das wahrscheinlich aus Klüber's Feder stammte, sprach sich Graf Goltz über „den würdigen und angemessenen Ton"“ der Dahlmann'schen Denkschrift sehr freundlich aus; er gab auch zu, daß die Deputation der Ritterschaft das letzte Ueberbleibsel der alten Stände- versammlung darstelle und der König-Herzog ihre Privilegien noch im Jahre 1816, also bereits zur Zeit des Deutschen Bundes, bestätigt habe. Doch über die Formbedenken kam er nicht hinweg; daß der Bund sich mit Schleswig befasse, schien ihm „gar nicht denkbar“.') Auch Bernstorff war den Rittern keineswegs feindlich gesinnt. Seinem Ancillon gestand er im Vertrauen, die dänische Krone habe sich vielfaches Unrecht gegen den holsteinischen Adel zu Schulden kommen lassen.) Aber eine Berufung auf den Art. 56 der Schlußakte konnte und wollte er nicht zulassen; er hatte diesen Artikel selber verfaßt und wußte am besten, daß Dahlmann ihn unrichtig auslegte. Eben jetzt ward das Gesetz über die preußischen Provinzialstände vorbereitet, das alle die Trümmerstücke altständischer Ver- fassungen in Cleve, Pommern, den Marken und den Lausitzen mit einem *) Goltz, Bericht über die Eingabe der holsteinischen Ritterschaft, 14. Dec. 1822. **) Bernstorff an Ancillon, 24. Jan. 1823.