Hessens erste Anträge. 631 Von den freieren und kühneren Ansichten, welche Motz sich inzwischen gebildet hatte, ahnte du Thil nichts. Er fühlte sich des Erfolges so wenig sicher, daß er nicht einmal seinen greisen Großherzog zu unterrichten wagte, sondern zunächst bei Bernstorff, mit dem er von den Wiener Conferenzen her befreundet war, vertraulich anfragte. Bernstorff aber kannte die Pläne des Finanzministers ebenso wenig wie der Hesse, da er seit Jahren die Handelssachen an Eichhorn zu überlassen pflegte, und gab eine zaghafte Antwort; finanziellen Gewinn verspreche der Vertrag für Preußen nicht, und auf eine unbedingte Unterwerfung des Großherzog— thums werde König Friedrich Wilhelm selbst nicht eingehen wollen. Erst als du Thil erwiderte, an eine Mediatisirung seines Großherzogs denke er auch keineswegs, sendete Bernstorff einen zweiten, ermuthigenden Brief.) Nunmehr weihte der hessische Minister seinen Großherzog in das Geheimniß ein und stellte bei dem preußischen Gesandten v. Maltzan, der trotz wiederholter Andeutungen nicht aus seiner Zurückhaltung her— ausgegangen war, am 10. August 1827 die förmliche Anfrage, ob man in Berlin geneigt sei, einen geheimen Bevollmächtigten seines Hofes zu empfangen.“) Die Frage lautete noch immer unbestimmt genug, du Thil sprach nur von gegenseitigen Handelserleichterungen. Und selbst wenn der bedrängte Darmstädter Hof, wie zu erwarten stand, weiter ging und zu einem wirklichen Zollvereine die Hand bot, welchen Vortheil gewährte ein solcher Bund den Finanzen und der Volkswirthschaft Preußens? Der kleine Staat besaß kein zusammenhängendes Gebiet, grenzte nur auf drei Stellen, auf wenige Meilen, an preußisches Land. Eben jetzt hoffte man in Berlin, die Verträge mit den Enclaven endlich zum Abschluß zu bringen; gelang dies, so war ein klarer Gewinn erreicht, die Länge der Zollgrenzen verminderte sich von 1073 auf 992 Meilen. Trat Darm- stadt hinzu, so waren wieder 1108 Grenzmeilen zu bewachen, während das freie Marktgebiet sich nur um 152 Geviertmeilen vergrößerte. Eine sehr beträchtliche Vermehrung des Absatzes preußischer Fabrikwaaren stand nicht in Aussicht, da Darmstadt nicht zu den stark consumirenden Ländern zählte. Nur die bergisch-märkische Industrie durfte auf Erweiterung ihres Verkehrs rechnen. Im Mosellande dagegen fürchtete man die Concurrenz der rheinhessischen Weine. Den Staatskassen drohte gradezu Verlust, wenn die Zolleinkünfte nach der Kopfzahl vertheilt wurden. Das kleine Nachbarland verzehrte weit weniger Colonialwaaren, hatte bisher eine zehnmahl niedrigere Zolleinnahme bezogen als Preußen: Darmstadt kaum 2½ Sgr., Preußen 24 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung. *) Ich benutze hier unter Anderem die Aufzeichnungen du Thil's — aber mit Vorsicht, da sie erst fast ein Menschenalter später (1854) diktirt und nachweislich von Gedächtnißfehlern nicht frei sind. *“) Maltzan's Berichte, 22. April, 9. Juli, 10. Aug. 1827.