Prosaischer Zug der Zeit. 683 die Blüthezeit der deutschen Dichtung nicht ohne die belebende Theilnahme der Frauen möglich geworden. Aber so lange der Ehrgeiz der ersten Männer der Nation nach dem schwellenden Kranze des Dichters rang, galt noch die natürliche Regel, daß künstlerisches Schaffen, wie alles Schaffen, Männerarbeit ist. Unter den herrlichen Frauen, welche ver— stehend und empfangend den classischen und den älteren romantischen Dichtern das Leben verschönten, waren nur wenige Schriftstellerinnen. Nun erst, seit die Dichtkunst zum eleganten Zeitvertreibe wurde, und jeder empfängliche Dilettant sich die literarischen Handgriffe leicht aneignen konnte, begann die Schaar der Blaustrümpfe, wie der neue englische Name lautete, bedenklich anzuwachsen. Karoline Pichler, Johanna Schopenhauer, Hel— mine v. Chezy, Karoline v. Fouqué schwangen die Feder statt der Nadel, manche der modischen Taschenbücher wurden nur für Frauen und großen— theils von Frauen geschrieben. Mit Besorgniß betrachtete Goethe diese neue sociale Krankheit. Er wollte weder die heiligen Schranken der Natur zerstört noch den Tiefsinn der Kunst durch leere Niedlichkeit verdrängt sehen und äußerte sich über die unfruchtbare weibliche Dichtung bald mit gutmüthigem Spott, bald mit einer göttlichen Grobheit, wie sie nur der Sänger der Frauenliebe sich erlauben durfte: Und sie in ihrer warmen Sphäre Fühlt sich behaglich, zierlich, fein; Da sie nicht ohne den Menschen wäre, So dünkt sie sich ein Mensch zu sein. Viele ernste Männer begannen schon die Poesie nur noch einer bei— läufigen Theilnahme zu würdigen. Wie tief war einst die gebildete deutsche Welt durch den Xenienstreit aufgeregt worden, und wie gleichmüthig blieb sie jetzt, als Platen wider die Schicksalstragödien und die Neuromantiker zu Felde zog. Solche ästhetische Kämpfe rührten nicht mehr den Lebens- nerv der Nation. Nur die einsame Gestalt des Altmeisters in Weimar, die immer wieder die Blicke von Freund und Feind dämonisch anzog, erinnerte das neue Geschlecht noch an die Tage, da die Dichtung den Deutschen Eines und Alles gewesen war. Die kräftigen jungen Talente, und darunter auch manche künstlerisch angelegte Naturen, wurden durch den Drang der Zeit meist der Gelehrsamkeit zugeführt. Die Wissenschaft aber warf sich mit wachsendem Eifer und Verständniß auf die großen Probleme des öffentlichen, des handelnden Lebens. In der Theologie bil- deten sich geschlossene Parteien mit bestimmten kirchenpolitischen Zielen. Nachdem Philosophen, Juristen, Sprach= und Alterthumsforscher der Hi- storie den Gesichtskreis erweitert und den Stoff bereitet, begann endlich auch die Krone der historischen Wissenschaften, die darstellende politische Geschichtschreibung sich kräftig zu entfalten, und in der wissenschaftlichen Parteiung der Historiker kündigten sich schon die politischen Gegensätze des kommenden Jahrzehnts vernehmlich an. Die Philosophie lernte durch