690 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit. seine Oestlichen Rosen heraus. Dieser Liederstrauß und die zahlreichen Nachbildungen indischer, persischer, arabischer Gedichte, welche der Uner— müdliche folgen ließ, machten unsere gebildete Welt mit dem Leben des Ostens vertraut, und jeder junge Lyriker meinte sich fortan verpflichtet, zuweilen einmal in einem Ghasel die flötende Bülbül zu besingen. Die deutsche Sprache hatte jetzt das Ziel erreicht, das ihr einst die Uebersetzungs— künstler der Romantik gewiesen hatten, sie war zur poetischen Weltsprache geworden; selbst die ungeheuerlichen Wort- und Buchstabenspiele der Ma— kamen des Hariri wußte der kunstfertige Nachdichter zu überwinden. Der dauernde Gewinn aus diesen morgenländischen Weltfahrten blieb freilich sehr weit zurück hinter jenem Schatze lebendiger Formen und Stoffe, welchen die älteren Romantiker einst aus der Dichtung der blutsverwandten Eng— länder und Romanen heimgebracht hatten. In das Traumleben des Ostens konnte sich der thatkräftige Weltsinn der Germanen doch nur mit gewaltsamer Anstrengung versenken, und der künstliche Parallelismus des orientalischen Versbaues mit seinen eintönigen Wiederholungen wider— sprach geradezu der leidenschaftlichen Natur unserer Sprache, die überall nach einem kräftigen Abschluß verlangt. Reine Freude vermochten die west-östlichen Dichter nur dann zu erwecken, wenn sie, wie Goethe im Divan, die orientalische Form lediglich als eine leichte Hülle zur Umkleidung deutscher Gefühle brauchten. Rückert selbst kehrte aus dem Rosenhain von Schiras immer wieder zu seinen fränkischen Blumenbeeten, von Fa- time und Suleika zur Agnes und Anne Marie zurück; und wie er vor- mals den Krieg gegen Napoleon mit seinen Geharnischten Sonetten be- gleitet hatte, so warf er auch späterhin noch manches Zeitgedicht in die Kämpfe des Tages — auch er ein Herold von Kaiser und Reich und ein bürgerlicher Protestant, der den Idealen des Befreiungskrieges sich niemals entfremdete. Schwerer, langsamer reifte Adelbert von Chamisso zum Dichter heran, weil er zuvor erst ein Deutscher werden mußte. Als er im Sommer 1813 das schelmische Märchen von Peter Schlemihl schrieb, folgte er unbefangen einer heiteren Eingebung seiner Phantasie, und hegte nicht die Absicht, in dem Bilde seines tragikomischen Helden sich selber, den vaterlandslosen Emigrantensohn darzustellen. Gleichwohl fühlte er sich während des deutsch- französischen Krieges wirklich noch so rathlos wie der Mann ohne Schatten; erst fünf Jahre später, da er von seiner Weltumsegelung heimkehrte, waren die Zweifel ganz überwunden, und er wußte, daß sein Staub nur in deutscher Erde ruhen dürfe. Als er dann eine heißgeliebte deutsche Frau heimgeführt und unter den Berliner Naturforschern eine geachtete Stellung gefunden hatte, da erblühte ihm auf der Höhe der Mannesjahre noch eine zweite schönere Jugend, und er bewies noch deutlicher als die vielen tüchtigen Männer der hugenottischen Colonie, was aus dem edlen fran- zösischen Blute in deutscher Umgebung werden kann. Selige Stunden,