702 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit. Welt sprach wieder von der Glorie der Bastillestürmer, und in dies Selbstlob der Franzosen stimmte eine Schaar von Deutschen, die mit jedem Jahre wuchs, begeistert ein. Unwiderstehlich drangen seit der Mitte der zwanziger Jahre Frankreichs politische Ideen über den Rhein hinüber. Niemals in aller Geschichte hat sich der Sieger so freiwillig unter das Joch des Besiegten gebeugt. Als Frankreich im Zeitalter Ludwig's XIV. unsere Bildung beherrschte, da konnte das entvölkerte und verstümmelte Deutschland von dem gallischen Sieger fast nur empfangen. Jetzt be— haupteten die Franzosen nur noch in den exakten Wissenschaften den Vorrang, auf allen anderen Gebieten der Literatur und Kunst waren die Deutschen ihnen ebenbürtig oder überlegen. Mochte der Deutsche seinen Nachbar um die früher errungene Staatseinheit mit Recht beneiden, Preußen zum mindesten besaß in seiner nationalen Krone, seiner Wehr— pflicht, seinem Schulwesen, seiner Selbstverwaltung, seinem redlichen Be— amtenthum alle die Grundlagen eines geordneten und freien politischen Lebens, welche dem französischen Staate fehlten. Aber der laute, von den Pariser Kammerrednern und Zeitungsschreibern mit so glänzendem Talent geführte Parteikampf erschien der radicalen Jugend Deutschlands nicht als ein Beweis hoffnungslosen inneren Unfriedens, sondern als ein Zeichen hochausgebildeter Freiheit; denn in weiten Kreisen der Halb— gebildeten herrschte noch von den ersten Zeiten der Revolution her, wie Niebuhr mit Trauer bemerkte, die staatsfeindliche Ansicht: „daß die ganze Aeußerung der Freiheit im Conflict besteht: im Conflict der Deputirten und der Regierung, im Conflict des Einzelnen gegen den Souverän.“ In Wahrheit hatten die Deutschen nur wenig zu lernen von der unnatür— lichen Verquickung englischer Parlamentsbräuche mit napoleonischem Ver— waltungsdespotismus, welche die Franzosen als constitutionelle Monarchie rühmten. Was jetzt als neueste politische Weisheit aus Frankreich herüber- kam, war für uns im Grunde nur ein Anachronismus, ein frischer Aufguß jener durch Niebuhr und Savigny längst wissenschaftlich überwundenen formalistischen Staatslehre, welche das Wesen der Freiheit allein in der Verfassung suchte. Die Bewunderung des französischen Wesens wirkte jetzt nur verwirrend und bethörend; sie entfremdete unsere Jugend dem Vaterlande, sie raubte ihr die Ehrfurcht vor den Helden der Nation, sie verdarb ihr das Verständniß für die vorhandenen Anfänge einer gesunden nationalen Politik, sie vergiftete die ohnehin mächtige Mißstimmung noch künstlich durch die revolutionären Schlagworte und den maßlosen Partei- haß der Nachbarn. Die jungen Deutschen, die in dem Bannkreise dieser französischen Anschauungen aufwuchsen, wußten kaum, daß Gneisenau noch in voller Manneskraft unter uns lebte, und von Motz hatten sie nie ein Wort gehört; den General Foy, der in der Pariser Kammer die Tricolore, das Banner der Marseillaise, für Frankreich zurückforderte, kannten und bewunderten sie alle.