H. Heine. 713 Sein Buch der Lieder brachte neben vielen leeren Nachahmungen auch einige Gedichte, welche den besten Werken der deutschen Romantik nicht nachstanden. Denn Heine war nicht nur ein unvergleichlich reicherer Geist als Börne, der allen Wein des Lebens in die Schläuche der Politik füllte, sondern auch weit mehr ein Deutscher als sein Frankfurter Stamm— genosse. In den Stunden, da er ein Dichter war, empfand er ganz deutsch. Deutsches Gemüth sprach aus der kleinen Zahl seiner wirklich erlebten Liebesgedichte, aus seinen Frühlingsliedern, auch aus dem Liede vom Fichtenbaum und der Palme, das für die Wandersehnsucht der Germanen sinnige Worte fand und nur durch die übermäßige Wieder— holung seinen Zauber verloren hat. Und wenn er als ein geschickter Macher das Lied von der Loreley, die glückliche Erfindung Clemens Brentano's, neu gestaltete, so durfte er sich doch rühmen, daß er einem schönen Stoffe die der nationalen Empfindung entsprechende Form gegeben und sein Eigenthum genommen habe wo er es gefunden. Jenes unwillkürliche, freudige Verständniß, das große Dichter bei ihrem Volke zu erwecken wissen, hat Heine nie gefunden. Die Deutschen kamen mit ihm niemals recht ins Reine, sie nahmen ihn stets zu ernst. Der lose Schalk wollte unterhalten, rühren, verblüffen und vor Allem gefallen; auf den Inhalt seiner Worte gab er nichts. Er spielte von früh auf den politischen Märtyrer, obgleich ihm noch Niemand ein Haar krümmte und die vereinzelten Verbote seiner Schriften nur die gewöhn— liche Wirkung hatten, den Absatz der Bücher zu vermehren. In Wahr— heit betrachtete er, nach dem guten Rechte des Humoristen, alle Politik nur als ein Mittel für seine literarischen Zwecke; das hohle politische Geschwätz, das er in seine Schriften einflocht, sollte bloß blenden und kitzeln, während Börne im ganzen Ernst politische Zwecke zu verfolgen glaubte und nur nicht fähig war einen politischen Gedanken zu finden. Seine Schuld war es nicht, daß die Leser in den Witzen einen tiefen Sinn suchten. Der einzige politische Gedanke, den er sein Lebelang treulich fest- hielt, war der Todhaß gegen Preußen, und dieser Haß war nicht ganz frivol, nicht ohne naturwüchsige Kraft; in ihm verrieth sich der Rhein- länder. Wenn Heine über die preußischen Soldaten spottete: „der Zopf, der ehemals hinten hing, der hängt jetzt unter der Nase“, so meinte man einen Düsseldorfer Gassenbuben oder einen Kölnischen Carnevals-Gecken zu hören und erkannte beruhigt, daß dieser Deutsch-Jude doch eine Heimath hatte. Im Uebrigen ward sein politisches Urtheil lediglich durch die Launen des Angenblicks und durch ästhetische Neigungen bestimmt. Nach Byron's Vorbild suchte er die Blüthe der Menschheit auf den Höhen oder in den Tiefen der Gesellschaft; das Bürgerthum, in dem die neue deutsche Literatur ihre Wurzeln hatte, war ihm lächerlich und langweilig, unter bürgerlicher Tugend verstand er die zahlungsfähige Moral seiner Hamburger Börsenmänner. Auch er liebte Deutschland auf seine Weise, ebenso aufrichtig