716 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit. selbst ein großer Denkproceß, so blieb dem Denker nichts mehr uner— gründlich. Das Denken war mithin das Denken des Denkens, wie ein Schüler Hegel's begeistert sagte. Methode und Inhalt des Systems schienen identisch zu sein. Dasselbe Gesetz der Dreigliederung, dem die dialektische Methode der Philosophie folgte, beherrschte auch die Entwicklung der göttlichen Vernunft selber, die in ewiger Wiederholung die drei Stufen des An—-sich-seins, des Anders-seins, des An-und-für-sich-seins durchmaß. Wer sich in diese Wunderwelt verlor, fühlte sich wie durch eine dämonische Macht emporgehoben über den gemeinen Menschenverstand; ihm war zu Muthe, als ob in seinem Geiste die Weltschöpfung aus dem Nichts sich wiederhole, als ob der Begriff selber sich bewege, durch ein schöpferisches Vermögen eine gegenständliche Welt aus sich herausgestalte und dann wieder in sich zurückkehre. Gepanzert, unermeßlich überlegen trat dieser stolze Idealismus der platten Verständigkeit und Nützlichkeitsmoral der Aufklärung entgegen, aber nicht minder entschieden auch den Phantasiespielen der Romantik. Diese Philosophie, die überall nur Geist sah, erschien wie ein letzter Nach— klang aus jenem rein literarischen Zeitalter, da fast die ganze Kraft unserer Nation in der geistigen Arbeit aufgegangen war; und dabei war sie zugleich streng realistisch. Nur in der wirklichen Welt erkannte sie die Offenbarung Gottes; unerbittlich wies sie alle jene Flattergeister zurück, welche sich erdenken was nicht ist und nicht sein kann oder beklagen was ist und nicht anders sein kann. Selbstverständlich wie eine Tautologie ergab sich ihr der große, alle Zweifel niederschmetternde Satz: das Wirk— liche ist vernünftig und das Vernünftige ist wirklich. Und doch war dies grandiose System nur ein Werk genialer Willkür. Wie unsere Philosophen allesammt, mit der einzigen Ausnahme Kant's, sich mehr durch Kühnheit und Tiefsinn als durch Schärfe und Bestimmt— heit des Denkens ausgezeichnet hatten, so war auch Hegel unklar, am unklarsten in der Darstellung der Grundbegriffe. Gerade der Hauptsatz, der das ganze System trug, war lediglich eine unerwiesene Behauptung. Die hochtönenden Worte, der Geist entlasse sich in die Natur, er setze sich sich selber gegenüber, sagten in Wahrheit gar nichts. Das große Räthsel, wie aus der Idee die wirkliche Welt hervorgehe, war und blieb ein Ge— heimniß, weil es das Geheimniß des weltschaffenden Gottes ist. Damals schon wies Schelling nach, das menschliche Denkvermögen sei völlig außer Stande die Natur aus dem Begriffe abzuleiten. Man hörte ihn noch nicht. Als aber dieser Grundirrthum des Systems erkannt wurde, da brach der ganze prächtige Gedankenbau zusammen; das verwegene Unter— nehmen, die Einheit von Sein und Denken aufzuweisen, war endgiltig mißlungen, und um nur wieder festen Boden zu gewinnen, mußte die Philosophie dann wieder zurückkehren zu Kant und zu der bescheidenen Frage, wie ein wissenschaftliches Erkennen der Natur überhaupt möglich sei.