Hegel's Religionsphilosophie. 717 Das System gab sich für unangreifbar aus, seine Sätze sollten ein- ander wechselseitig tragen und halten. Aber die Gestaltung der Welt, wie Hegel sie darstellte, ergab sich in Wahrheit nicht mit logischer Noth- wendigkeit aus den obersten Grundsätzen, sie war erdacht und erdichtet durch die subjective Willkür des Philosophen selber. Darum zeigte sich in der Ausführung des Systems überall eine auffällige Ungleichheit; einzelne Theile waren völlig mißlungen, andere enthielten den Keim einer frucht- baren, weit in die Zukunft hinauswirkenden Weltansicht. Gänzlich ver- fehlt war Hegel's Naturphilosophie; denn die greifbare Wirklichkeit der Natur setzt jedem Versuche, sie aus dem Begriffe heraus zu construiren einen harten, fast spöttischen Widerstand entgegen, und eben hier fehlte dem Philosophen alle Sachkenntniß. Die jungen Meister der exakten Forschung, die sich in Berlin um Alexander Humboldt schaarten, hatten guten Grund über diese Träume zu spotten, denn was Humboldt eben jetzt von seiner sibirischen Reise an wirklicher Naturkenntniß heimbrachte, wog allein schon schwerer als Hegel's gesammte naturphilosophische Constructionen. Ebenso unglücklich zeigte sich Hegel in der Religionsphilosophie; auf diesem ihrem eigensten Gebiete war ihm Schleiermacher's religiöse Natur weit überlegen. Er begann mit der aller Erfahrung widersprechenden Behauptung, daß Philosophie und Religion denselben Inhalt hätten, jene aber das Absolute darstelle in der Form des Denkens, diese in der Form der Vorstellung. Der religiöse Glaube war ihm also nicht eine ursprüng- liche, den ganzen Menschen, sein Denken und sein Wollen bestimmende Macht des Gemüths, sondern nur eine unreife Form der Wissenschaft. Daraus ergab sich — wie geschickt man das auch durch dialektische Künste zu verhüllen suchte — unwidersprechlich die Nothwendigkeit des Cäsaro- papismus; denn der denkende Staat muß einer Kirche, die sich nur in der Welt der Einbildungskraft bewegt, unbedingt übergeordnet sein. Wenn Hegel's gelehriger Schüler Altenstein das innere Leben der Kirchen be- ständig zu meistern versuchte, so trugen die Lehren des Meisters an dieser verfehlten Kirchenpolitik unzweifelhaft einige Mitschuld. Die Idee der Erlösung, der Mittelpunkt von Schleiermacher's Glaubenslehre, trat in Hegel's System ganz zurück. Ihm lag vielmehr daran, die Dogmen wissenschaftlich zu erweisen, selbst die harten, der Vernunft ewig unzu- gänglichen, selbst das Dogma der Dreieinigkeit; und diese gewaltsame Künstelei erschien um so unfruchtbarer, da der pantheistische Grundgedanke des Systems der christlichen Dogmatik offenbar widersprach. Um so mächtiger entfaltete sich Hegel's Genius auf dem Gebiete der Aesthetik. Was er hier sagte über die Einheit von Idee und Bild im Kunstwerk, war groß, tief, neu und so lebensvoll, daß noch heute alle ernsten ästhetischen Urtheile der Deutschen sich bewußt oder unbewußt an Hegel anlehnen. Den zeitgenössischen Dichtern wurde er gerecht mit der Sicherheit einer großen Seele; er verstand nicht nur Goethe, sondern auch