Die Hegelianer. 721 mißverstanden werden. Hegel selber verdiente zwar keineswegs den Vor— wurf knechtischer Gesinnung, den ihm seine Neider zuschleuderten; er ging in seiner Staatslehre über die Wirklichkeit der preußischen Zustände sehr weit hinaus, er forderte Kammern und Schwurgerichte, gewährte dem Monarchen nur das Recht, den Punkt aufs i zu setzen. Doch er war eine conservative Natur. In seinen letzten Jahren schloß er sich eng an die Regierung an und benutzte unbedenklich. die Gunst Altenstein's und Johannes Schulze's, um seine wissenschaftlichen Gegner zu beseitigen; seine Berliner Jahrbücher hätte er am liebsten, gleich dem Journal des savans, zu einem Staatsunternehmen umgestaltet. Wenn er das Wirkliche ver— nünftig nannte, so wollte er sicherlich nicht den Stillstand preisen, sondern eine besonnene Staatskunst, die ihre Reformen aus dem Gegebenen heraus gestaltete. Aber schon erhoben sich — voran der Jurist Göschel — einige über— eifrige, hochconservative Schüler, welche im Namen Hegel's Alles, was in Staat und Kirche augenblicklich bestand, für vernünftig erklärten. Und zugleich ward offenbar, daß jenes vieldeutige Wort auch im Sinne des wüsten Radicalismus mißbraucht werden konnte. Wenn nur das Ver— nünftige wirklich war, so durfte ein unreifer Kopf sich wohl berechtigt glauben, die Welt nach seiner Vernunft umzugestalten, das nur scheinbar Wirkliche durch die Wahrheit der Philosophie kurzerhand zu verdrängen. Und dieser dreiste Schluß — unzweifelhaft das genaue Gegentheil der Meinung Hegel's — wurde in der That schon von einzelnen Heißspornen gewagt; das junge Volk glaubte den Meister besser zu verstehen, als er sich selber verstand. Die ersten Anfänge dieses junghegelschen Radicalismus ließen sich bereits erkennen, als Ed. Gans gegen die historische Rechtsschule zu Felde zog — ein bewegliches jüdisches Talent, mehr scharfsinnig als geistvoll, wohlbewandert in jener Kunst der Reproduction, welche auf dem Katheder so leicht Erfolge erzielt. Gans durchschaute die Schwächen der Schüler Savigny's, die sich nur zu oft in ideenlose Mikrologie verloren, und erneuerte, ungleich geschickter als Rotteck, den alten sinnlosen Kampf des Vernunftrechts wider das historische Recht, obgleich die Grundgedanken der Hegel'schen Geschichtsphilosophie den Ideen der historischen Rechtsschule in Wahrheit sehr nahe standen. Der unerquickliche Streit erinnerte stark an die leidigen Mißverständnisse zwischen Kant und Herder; er hatte nur die eine gute Folge, daß Gans sich sammelte und in seinem „Erbrecht“ einen Versuch vergleichender Rechtsgeschichte unternahm, der die Lehre Savigny's glücklich ergänzte. Die Schwarmgeister der Hegel'schen Schule aber hatten nunmehr gefunden, was jeder werdenden Partei unentbehrlich ist: einen gemeinsamen Feind. Kampf gegen die Historischen — hieß jetzt die Losung. Unter diesem Banner sammelte sich eine Schaar radi- caler Köpfe, welche, weit hinausschreitend über Gans'“ liberale Ansichten, v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 46