Das Petersburger Protocoll. 729 frohlockte, denn nunmehr schien es unmöglich, daß die Russen einseitig gegen die Türken vorgingen. Als das Protokoll bekannt wurde, spendete die liberale Welt ihrem Liebling überschwänglichen Beifall. Canning erschien als der glorreiche Befreier der Hellenen; er allein hatte bewirkt, daß die beiden alten Gegner England und Rußland sich zusammenthaten zur Rettung der Griechen, die sonst unzweifelhaft den überlegenen Waffen der Aegypter unterliegen mußten. In allen Ländern Europas nahm der Philhellenis— mus einen neuen Aufschwung; selbst in Berlin wagte Hufeland jetzt seine Sammlungen für die Griechen öffentlich anzukündigen. Bald zeigte sich jedoch, daß Canning's kühne Schlauheit an dem jungen Czaren ihren Meister gefunden hatte. Nicht Rußland war durch das Londoner Protokoll gebunden, sondern England. Ohne die Zustim- mung seiner russischen Freunde durfte Canning fortan in den griechischen Händeln keinen Schritt mehr unternehmen. Der Petersburger Hof da- gegen behielt die Hände frei; er hatte zwei Sehnen am Bogen, denn da im Oriente ein Vertrag niemals ehrlich gehalten wird, so kann es dort auch niemals an Kriegsvorwänden fehlen, und Czar Nikolaus säumte nicht gegen den Divan drohende Beschwerden zu erheben, wegen der noch uner- füllten Verheißungen des Bukarester Friedens vom Jahre 1812. Schon im März, noch bevor die Vereinbarung mit England zu Stande kam, zeigte er den großen Mächten an, „die besondere Stellung“ Rußlands gegenüber der Türkei müsse ungesäumt geordnet werden. England konnte ihn daran nicht hindern, da sich das Petersburger Protokoll nur auf die griechische Frage bezog. Metternich aber, verblendet durch den Doktrinarismus seiner Revo- lutionsfurcht, arbeitete dem Czaren arglos in die Hände. Er wollte auf der Welt nichts mehr sehen, als die beiden großen Heerlager der Revo- lution und der Legitimität; befangen in diesem Ideenkreise vermochte er die harte Interessenpolitik, welche der Czar so gut wie Canning im Oriente befolgte, nicht zu verstehen. Weil Canning von der liberalen Welt vergöttert wurde, darum blieb er in Metternich's Augen die Welt- geißel, das blendende Meteor des Unheils, das vor der dauernden Größe der Wiener Staatskunst bald erbleichen mußte - und wie die freundlichen Ergüsse Metternich'scher Selbstberäucherung sonst lauteten; nur vor Canning's revolutionären Umtrieben mußte der Sultan behütet werden, obgleich der englische Staatsmann die Erhaltung des türkischen Reichs ganz ebenso aufrichtig wünschte wie die Hofburg selber. Der junge Czar hatte bei seiner Thronbesteigung die Revolution niedergeworfen und seinen Abscheu gegen die Griechen, diese Rebellen und unver- besserlichen Barbaren, wiederholt und nachdrücklich ausgesprochen; folg- lich war er nach Metternich's Urtheil der Mann des Friedens und der Ordnung, Alles was er that, redete, war parfait, unmöglich konnte er daran denken, mit einem Heere, das selbst von revolutionären Ideen an-