Russisch-türkischer Krieg. 737 Im April 1828 erklärte Rußland den Krieg. In seinem Kriegs- manifest forderte der Czar Genugthuung für die türkischen Rüstungen und die Beleidigung seiner Ehre, für die Mißhandlung seiner Unterthanen und die Belästigung des Handels im Bosporus, endlich genaue Erfüllung der älteren Verträge. Feierlich verwahrte er sich gegen den Verdacht der Eroberungslust, nur vollen Ersatz der Kriegskosten müsse er verlangen. Den großen Mächten gegenüber spielte er den Gekränkten, den schuldlos Herausgeforderten. „Ich werde nicht der Angreifer sein, Sire," schrieb er im Januar dem König von Preußen, „aber wehe denen, die sich an Rußland vergreifen wollen“; und dem englischen Hofe ließ er mittheilen: da der Sultan die Gesammtheit der Muhamedaner wider ihn aufrufe, so müsse er den Kampf aufnehmen.*) Der wahre Grund des Krieges lag in der schwierigen Stimmung des Heeres und in dem Selbstgefühle der Nation, die so lange der Mißhandlung ihrer Glaubensgenossen grollend zugesehen und nun Rache nehmen wollte an dem hochmüthigen und, wie es schien, ohnmächtigen Erbfeinde. Rußland fühlte sich als die führende Macht im Oriente; eben jetzt wurde ein zweijähriger Krieg gegen Persien durch einen glücklichen Friedensschluß, durch die Erwerbung wichtiger Gebiete südlich des Kaukasus beendigt. Die anspruchslosen Versprechungen des Kriegs- manifestes waren nicht schlechthin unehrlich, da die Lage der Welt einen Vernichtungskrieg nicht begünstigte, aber auch nicht frei von Hinter- gedanken. Blieb das Kriegsglück dem Czaren hold, so verloren sie jeden Werth. Czar Nikolaus war der Enkel jener Katharina, die einst gehofft hatte, den byzantinischen Doppeladler von Moskau wieder in seinen alten Herrschersitz zurückzuführen. Am Berliner Hofe kannte man eine geheime russische Denkschrift, worin die hochmüthige Aeußerung stand: sollte das Schicksal den Untergang der Türkei herbeiführen, so würden die großen Mächte sich auch darüber leicht einigen. ) Daher war der friedfertige König mit dem Verfahren seines Schwiegersohnes keineswegs einver- standen. Er fand es sehr leichtsinnig, diese Saite zu berühren, er sprach dem Czaren offen aus, man hätte den Krieg vermeiden können und sollen, und verweigerte dem Prinzen Wilhelm die Erlaubniß zur Theilnahme an dem Feldzuge der Russen. Eine thatkräftige österreichische Staatskunst hätte die Dinge nie so weit kommen lassen, dem russischen Hofe nimmermehr den Vortritt ein- geräumt bei der unvermeidlichen Zerstörung des türkischen Reichs. Im- merhin bot sich der Hofburg auch jetzt noch zum letzten male die so oft schon verscherzte Gelegenheit, die kühnen Pläne des Prinzen Eugen zu ver- wirklichen. Wenn sie ihre günstige Flankenstellung entschlossen benuttzte, *) K. Nikolaus an K. Friedrich Wilhelm, 15. Jan.; Nesselrode, Weisung an Lieven, 14. Febr. 1828. **) Witzleben's Tagebuch, 17. Jan. 1828. v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 47