Czar Nikolaus in Berlin. 741 Verlangen der Nation nach der Rheingrenze zu widerstehen. Wie sich die Dinge auch wenden mochten, ein Krieg in solcher Lage, um einer Frage willen, welche dem deutschen Interesse fernablag, konnte dem preußischen Staate nur Opfer und Verlegenheiten bereiten ohne jede Wahr— scheinlichkeit großer Erfolge. Friedrich Wilhelm's Friedenspolitik hatte in den napoleonischen Zeiten viel Unheil verschuldet; diesmal war sie voll— berechtigt. Auch Czar Nikolaus wünschte jetzt aufrichtig den Frieden. Ernüchtert durch die bescheidenen Erfolge des ersten Feldzugs verzichtete er vorläufig auf die ehrgeizigen Pläne, mit denen er sich früher wohl getragen hatte, und suchte nur noch auf ehrenvolle Weise aus dem Handel herauszu— kommen. Einem europäischen Kriege sah er mit Besorgniß entgegen, denn auf Preußens Waffenhilfe konnte er noch nicht rechnen, und sein einziger sicherer Bundesgenosse König Karl X. stand am Rande des Grabes. Schon im December betheuerte er dem König von Preußen, wie lebhaft er nach Frieden verlange, und beschwerte sich zugleich heftig über England und das „infame“ Betragen Oesterreichs.) Als der Krieg im Frühjahr unter günstigen Anzeichen von Neuem begann, reiste Nikolaus nach Warschau und empfing dort unheimliche Eindrücke, die ihn in seiner Friedenssehn- sucht nur bestärken konnten. Den Polen war es ein Gräuel, daß ihr König nicht in ihrer alten Johannskathedrale, sondern im Thronsaale des Schlosses und nach griechisch-orthodorem Ritus die Krönung vollziehen ließ. Die Landboten verharrten in eisigem Schweigen, als der vorge- schriebene Hochruf angestimmt wurde; auch das Volk verhielt sich kalt, fast drohend; Jedermann fühlte, welche Leidenschaften hier gährten. Von Warschau aus wollte der Czar nach Sibyllenort reisen, um seinen Schwiegervater zu sprechen; Friedrich Wilhelm wünschte auch den Kaiser von Oesterreich zuzuziehen, der aber sagte auf Maltzahn's Andeu- tungen kein Wort, so bitter war schon der Haß zwischen den beiden Kaiser- höfen.*) Inzwischen wurde der König unwohl und mußte die Reise auf- geben. Da erschien Nikolaus am 6. Juni selber in Berlin, mit seiner Gemahlin und dem kleinen Thronfolger. Es war die erste jener theatra- lischen Ueberraschungen, welche sich seitdem noch oft wiederholten; der Czar liebte wie der Donnerer Zeus plötzlich aus dem Gewölk herauszutreten. Die Berliner empfingen ihre erlauchten Gäste mit überschwänglichen Hul- digungen, sie konnten sich nicht satt sehen an ihrer Charlotte und dem ältesten Enkel ihres Königs. Die Universität begrüßte den Befreier der Hellenen mit einer griechischen Ode; denn die philhellenische Begeisterung beherrschte die liberale Welt so gänzlich, daß selbst H. Heine und seine radi- calen Freunde sich über die Waffenerfolge des griechenfreundlichen Czaren *) Kaiser Nikolaus an König Friedrich Wilhelm, 3. Dec. 1828. *#) Maltzahn's Bericht, 9. Mai 1829.