Baiern und die Karlsbader Beschlüsse. 763 Ich meine, diese beiden Aeußerungen stimmen beinah wörtlich überein, und bei dem Wohlwollen, das mir die liberale Presse widmet, muß ich fast befürchten, es werde noch einmal ein gesinnungstüchtiger Recensent auftreten und mich des Plagiats an Harden— berg beschuldigen. Einen ehrlichen Kritiker wie Herrn v. Lerchenfeld darf ich aber wohl fragen: redet er eigentlich im Ernst oder im Scherz, wenn er mir also meine eigenen Urtheile mahnend entgegenhält als ob ich sie bestritten hätte? Nicht besser steht es um die anderen Vorwürfe, die er in seinem einleitenden Capitel auf meine Deutsche Geschichte herabschüttet; trotz der höflichen Form läuft doch Alles auf den Satz hinaus: Treitschke ist gut preußisch gesinnt und folglich ungerecht gegen alle Nichtpreußen. Wenn Herr v. Lerchenfeld mir vorwirft, ich tadle Jeden, der nicht damals schon Preußens deutschen Beruf erkannt habe, so kann ich nur erwidern: von Alledem steht in meinem zweiten Bande kein Wort, aus dem einfachen Grunde, weil Preußen in jener Zeit an die Beherrschung Deutschlands weder dachte noch denken konnte. Das Einzige, was sich damals zur Befestigung unserer politischen Einheit viel- leicht erreichen ließ, war eine leidliche Ordnung des Bundesheerwesens. Für diesen nationalen Zweck hat Preußen in immer neuen Anläufen seine Kraft eingesetzt, aber jeder Versuch scheiterte an dem Widerstande Baierns und der meisten anderen Bundes- staaten. Finde ich einen solchen Particularismus unerfreulich, so kann ein so guter Patriot wie Herr v. Lerchenfeld dawider doch nichts einzuwenden haben. Desgleichen, wenn ich den Kampf der Kleinstaaten wider das preußische Enclavensystem schildere, so denke ich nicht daran, die Kleinen darum zu tadeln, weil sie „dem deutschen Berufe“ Preußens widerstrebt oder gar die Pläne deutscher Zollpolitik, welche damals dem Ber- liner Hofe selber noch unklar waren, nicht durchschaut hätten; ich weise vielmehr nur nach, daß sie, verblendet durch Mißtrauen und durch die Ueberschätzung einer unhaltbaren Souveränität, ihren eigenen handgreiflichen Vortheil verkannten, indem sie das An- erbieten einer Zollgemeinschaft zurückwiesen, die sich seitdem in der Erfahrung eines halben Jahrhunderts als gerecht und segensreich bewährt hat. Was in aller Welt läßt sich gegen diesen Nachweis vorbringen? Uns Deutschen fehlt noch ein gemeinsames natio- nales Urtheil über die entscheidenden Thatsachen unserer neuen Geschichte. Die Ver- ständigung darüber ist nicht leicht, und ich fürchte, sie wird nicht gefördert, wenn unsere Kritiker sich befugt halten, jedem Historiker, der etwas weiter rechts oder links steht als der Recensent, kurzweg die Gerechtigkeit abzusprechen. Was würde mein Kritiker dazu sagen, wenn ich ihn mit der gleichen Münze bezahlte und meine Leser von vornherein wider ihn aufstachelte durch die naheliegende Bemerkung: „Herr v. Lerchenfeld ist der Enkel des bairischen Finanzministers von 1819, folglich sucht er die Münchener Politik jener Zeit so viel als möglich zu beschönigen!“ —2 6 Nichts liegt mir ferner als der Gebrauch solcher Waffen. Ich halte für ganz unzweifelhaft, daß Herr v. Lerchenfeld mit seiner Schrift durchaus nichts anderes beab- sichtigt als die Feststellung des historischen Thatbestandes, und begrüße es mit Dank, daß er uns durch die Mittheilungen aus den Papieren seines Großvaters endlich eine werthvolle bairische Quelle erschlossen hat, da die Archive der meisten Mittelstaaten wohl noch lange unzugänglich bleiben werden. Ich finde in diesen Papieren, wie sich von selbst versteht, Manches, was meine Darstellung ergänzt, aber die Widerlegung, die ich nach dem gehäuften Tadel der Einleitung wohl erwarten durfte, suche ich vergeblich. Nach sorgfältiger Vergleichung der Lerchenfeld’'schen Schrift kann ich von Allem, was ich gesagt, nichts Wesentliches zurücknehmen als eine beiläufige Notiz, die keine principielle Bedeutung hat. Eine irrthümliche Nachricht in einem Gesandtschaftsberichte hat mich zu der Annahme verführt, daß Kronprinz Ludwig, dessen untadelhafte Verfassungstreue ich übrigens mehrfach anerkannt habe, im Herbst 1819 in Italien gewesen sei. Dies ist falsch. Die hier abgedruckten Briefe beweisen, daß der Kronprinz nicht nur in Baiern war, sondern auch den Karlsbader Beschlüssen eifrig entgegengewirkt hat. Mit Freuden habe ich unterdessen diese Briefe, die dem Herzen des Prinzen zur Ehre gereichen, für die dritte