28 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. ein Sklavenvolk von politischen Kindern, von zuchtlosen Freigeistern und gelehrten Narren. Um so unbefangener konnte er also in seinen Parla- mentsreden die lockenden Töne der nationalen Selbstverherrlichung an- schlagen, und er lernte bald, daß britische Hörer diese Kunst demago- gischer Schmeichelei selten zu plump finden. Im Sommer 1813, während in Preußen das Volk in Waffen aufstand, pries Palmerston die unver- gleichlichen Vorzüge des englischen Söldnerwesens und versicherte den be- friedigten Gemeinen: auf ein solches Heer von geworbenen Freiwilligen könne der Feldherr sicherer zählen, als auf „eine Bande von Sklaven, die mit Gewalt aus ihren Häusern gerissen werden.“ Späterhin verherrlichte er sogar die neunschwänzige Katze als ein Kleinod britischer Freiheit: der ganze Unterschied zwischen dem englischen und den festländischen Heeren laufe doch lediglich darauf hinaus, daß hier ohne Untersuchung, in Alt- England aber nach einem Spruche des Kriegsgerichts geprügelt werde! Die reaktionären Doktrinen des Wiener Hofes konnten dem Realisten nicht zusagen, obwohl er sich hütete, deshalb mit Lord Castlereagh zu brechen. Mit aufrichtiger Freude schloß er sich dann an Canning an, als dieser die alte englische Interessenpolitik wieder zu Ehren brachte. Aus dem Ministerium Wellington trat er mit den anderen Canningiten bald wieder aus; er fühlte, dies Kabinett müsse „an dem Felsen der öffentlichen Meinung scheitern“, und täuschte sich auch nicht über den nahenden Zu- sammenbruch des bourbonischen Thrones. Zwei Jahre lang blieb er nunmehr in den Reihen der Opposition und bereitete durch freisinnige Gemeinplätze die kühne Schwenkung vor, die ihn zu den Whigs hinüber- führen sollte. „In der Natur“ — so ließ er sich vernehmen — „gibt es nur eine bewegende Kraft, den Geist; in menschlichen Dingen ist diese Kraft die Meinung, in politischen Dingen ist es die öffentliche Meinung und jene Staatsmänner, welche es verstehen, sich der Leidenschaften, der Interessen, der Meinungen der Menschen zu bemächtigen, erlangen eine unverhältnismäßige Macht.“ Ob der Staatsmann nicht auch verpflichtet sei, die irrende öffentliche Meinung zu belehren, den Vorurteilen der Volksvertretung mit zornigen Brauen zu trotzen? — solche Fragen hat er sich niemals vorgelegt. Als er nun nach der Juli-Revolution in das Reformkabinett der Whigs eintrat und das auswärtige Amt aus Lord Aberdeens zaghaften Händen übernahm, lenkte er sofort wieder in die Bahnen der Handelspolitik Cannings ein. Er konnte nicht wie die beiden Pitt durch den Schwung einer großen Seele, nicht wie Canning durch das getragene Pathos kunstvoller Rede das Haus begeistern; der neue Par- lamentarismus verlangte nach einem Virtuosen der Mittelmäßigkeit. Palmerston wirkte durch das unfehlbare Mittel des nationalen Selbst- lobes, durch kleine dialektische Taschenspielerkünste, durch Zeitungsredens- arten, die einem jeden einleuchteten und jedem das Nachdenken ersparten; die Gegner fertigte er mit schnöden Witzen ab, nach Umständen auch durch