Die liberalen Westmächte. 29 eine wohl angebrachte Grobheit, die den unschuldigen Leuten wie der unwillkürliche Gefühlsausbruch eines Biedermanns klang, und immer blieb den Hörern der Eindruck, als ob sie tief in die Falten seines treuen Herzens hineingeblickt hätten. Schon auf den Bänken der Opposition hatte er mit dem Lächeln des Augurs die schmeichelhafte Behauptung ausgesprochen, jedes Mitglied des Unterhauses könne sich ein sachverständiges Urteil über die aus— wärtige Politik bilden, wenn diese nur ganz ehrlich und offen verfahre. Demgemäß betrieb er als Minister eifrig die Anfertigung kunstvoller Blaubücher, die von allem etwas, von dem Wesentlichen nichts erzählten, so daß jeder Leser der Times sich fortan rühmen durfte, die europäische Politik des volkstümlichen Staatsmannes von Grund aus zu kennen. Gleich Canning wollte Palmerston den Weltfrieden erhalten, um den britischen Handel nicht zu verderben; doch gleich seinem Meister wünschte er ebenso aufrichtig, daß immer eine sanfte Kriegsgefahr über dem Fest- lande schwebte, damit England freie Hand behielt, sein Kolonialreich zu erweitern und die Märkte der ganzen Welt zu besetzen. Vor allem galt es, die beiden gefährlichsten Nebenbuhler, Frankreich und Rußland aus- einander zu halten, und der Geschäftsverstand des bekehrten Torys ent- deckte sogleich, wie leicht sich dies Ziel erreichen ließ, wenn man die politischen Leidenschaften des Tages gewandt ausbeutete. Richtig zubereitet konnte die liberale Phrase für Alt-England ein ebenso nützlicher und zu- dem weniger kostspieliger Ausfuhrartikel werden wie Kohlen, Eisen und Kattun. Wenn England sich an den neuen französischen Gewalthaber anschloß, um ihn zu stützen und zugleich im Zaume zu halten, wenn diese entente cordiale der Westmächte der aufgeregten Zeit beständig als ein Bund der Freiheit gegen den Despotismus, des Lichtes gegen die Finsternis angepriesen wurde, so war eine ehrliche Verständigung zwischen Frankreich und den konservativen Ostmächten unmöglich. Dank der Tendenzpolitik Metternichs bestand in der Welt schon seit Jahren der Wahn, daß die Parteiung der Staatengesellschaft nicht durch die Weltstellung und die auswärtigen Interessen der Mächte be- stimmt würde, sondern, wie einst im Zeitalter der Religionskriege, allein durch ihre inneren Zustände. Palmerstons Nüchternheit hat an dies Märchen der Parteileidenschaft nie geglaubt; er wußte wohl, daß die Verfassungskämpfe der Gegenwart bei weitem nicht so tief in die Macht- verhältnisse Europas eingriffen, wie einst die kirchlichen Gegensätze. Je- doch er bemächtigte sich des allgemein verbreiteten Wahnes und verkündete ungescheut: dies selbstgenügsame Inselreich, das sich in Jahrhunderten niemals um die Verfassung der Nachbarlande gekümmert hatte, sei der natürliche Bundesgenosse aller konstitutionellen Staaten. Mit dem Rede- schwall eines Marktschreiers verherrlichte er die Trefflichkeit, die unver- gängliche Dauer dieses „auf die besten Grundsätze der menschlichen Natur,