70 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. sie die helvetische Republik dem französischen Einheitsstaate nachbildeten und dann die Mediationsakte aus Bonapartes Hand entgegennahmen. Obwohl ermutigt durch das Beispiel der Franzosen, bewahrte die Revo- lution hier ihren schweizerischen Charakter und darum nachhaltige Lebens- kraft; sie erstrebte das Ziel der reinen Volksherrschaft, das sich aus der neueren Geschichte der Eidgenossenschaft mit Notwendigkeit ergab. Nicht ohne Roheit und Gewalttat, aber auch ohne schweren Bürgerkrieg wurden in mehreren Kantonen, zumal in den größten und reichsten, die Herr- schaft der Hauptstädte, sowie die Vorrechte der Patrizier gebrochen und demokratische Staatsformen eingeführt, deren Schwerpunkt in der erwählten Volksvertretung, dem Großen Rate, lag. Mit den demokratischen Ge- danken verband sich das Verlangen nach Reform der lockeren Bundes- verfassung. Indes vermochte der Einheitsdrang in diesem klassischen Lande des Föderalismus niemals so übermächtig zu werden, wie in Deutschland oder Italien. Die alten kleinen Händel der Landschaften währten fort; in Schwyz ward der Versuch gewagt, den Kanton in zwei Hälften zu zer- schlagen, und das radikale Baselland riß sich als souveräner Halbkanton von der konservativen Stadt Basel los. Da die Tagsatzung sich zu schwach fühlte, alle diese Parteikämpfe zu beherrschen, so nahm sie den modischen Grundsatz der Nichteinmischung an. Ein solcher Beschluß augenblick- licher Verlegenheit konnte auf die Dauer nicht vorhalten; früher oder später mußten die Verfassungsänderungen der Kantone auf den Bund zurückwirken. Dies erkannte auch Metternich mit dem Scharfblicke des Hasses. Er wußte, wie eifrig der Pariser Hof, der allein bei der Tag- satzung einen Botschafter unterhielt, sich wieder um die schweizerische Schirmherrschaft bemühte;?*) auch fürchtete er, die Einheitsbewegung der Eidgenossen könne den Deutschen ein übles Beispiel geben. In seiner Angst sah er die Schweiz schon wieder dem Einheitsstaate der helvetischen Republik zutreiben und gab den Ostmächten zu erwägen, ob man eine solche Anderung dulden könne, da doch jeder Kanton ein wohlerworbenes Recht auf Erhaltung der alten Verfassung besitze und die Schweiz nur als Staatenbund von den großen Mächten anerkannt worden sei.) In der Menge dieser Gegensätze, welche den Weltteil erfüllten, lag doch einige Gewähr für den allgemeinen Frieden. Nur die Selbstüber- hebung des Zaren Nikolaus mochte sich's zutrauen, alle diese Knoten zugleich mit dem Schwerte zu durchhauen. Vorderhand waren die Ost- mächte durch Polen und Italien beengt, die Westmächte durch innere Ver- legenheiten. So konnte denn die Vermittelungsarbeit der Londoner Kon- ferenz stetig voranschreiten, freilich nur unter wiederholten gefährlichen Rückschlägen, die zumeist durch Frankreichs Doppelspiel verschuldet wurden. *) Otterstedts Bericht, Bern 12. Juli 1830. *“) Metternich, Memorandum sur les affaires de la Suisse 23. Nov. 1831.