Die polnischen Flüchtlinge. 91 werden. In der Hauptstadt gebot der zum Fürsten von Warschau er— hobene Paskiewitsch mit eiserner Strenge; er verhöhnte die Geschlagenen ins Angesicht, feierte seine Siege in prunkenden Festen, und als ihm der Zar das von Thorwaldsen soeben vollendete Reiterstandbild des polnischen Nationalhelden Poniatowski schenkte, ließ er der Bildsäule den Kopf ab— schlagen, seinen eigenen Kopf darauf setzen und dann dies unvergleichliche Denkmal moskowitischer Barbarei vor einem seiner Schlösser aufstellen. Bei alledem spielten die Westmächte eine klägliche Rolle. Mehrmals erhoben sie schüchternen Einspruch und beriefen sich auf die Wiener Ver- träge, die sie doch selber beständig verletzten. Alle diese Versuche wurden von den drei Teilungsmächten kurzerhand abgewiesen; denn die Wiener Kongreßakte verhieß den Polen nur im allgemeinen „nationale Institu- tionen“, und eine nationale Verwaltung blieb dem Lande auch jetzt noch erhalten.*) Jahraus jahrein ergingen sich die Parlamente von England und Frankreich fortan in Kundgebungen einer unfruchtbaren Entrüstung. Der furchtsame Bürgerkönig nahm die polnischen Flüchtlinge gastlich bei sich auf. Im stillen fühlte er sich doch erleichtert durch die Unterdrückung eines Aufstandes, der ihm nur Verlegenheit bereitet hatte. Sein Ver- trauter Sebastiani plauderte dies Herzensgeheimnis unvorsichtig aus, als er in der Kammer die Außerung fallen ließ: „Die Ordnung herrscht in Warschau“ — ein Wort, das von den Liberalen aller Länder begierig auf- gegriffen und jahrelang beständig wiederholt wurde, um die Ruchlosigkeit der Kronen zu brandmarken. — Durch den Fall von Warschau gewann die Politik der Ostmächte wieder freiere Bewegung; indes war Rußland durch den polnischen Kampf so erschöpft und das Friedensbedürfnis an den beiden deutschen Höfen so stark, daß eine ernste Kriegsgefahr kaum noch hereinbrechen konnte. Die belgische Frage schritt der Lösung entgegen, sehr langsam allerdings und unter mannigfaltigen Verwicklungen. Der am 15. November mit Belgien abgeschlossene Vertrag erregte in Berlin wie in Wien und Petersburg gerechtes Befremden; denn die Gesandten der drei Mächte hatten ihn ohne Vollmacht unterzeichnet, und ohne die Mitwirkung Hollands, wäh- rend die Londoner Konferenz doch berufen war, zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln. Dennoch war König Friedrich Wilhelm zur Genehmigung bereit, da er den Inhalt des Vertrags billigte; nur wollte er die Ratifikation erst dann aussprechen, wenn alle Großmächte und womöglich auch Holland beistimmten und dadurch eine endgültige Ent- scheidung gesichert war. Den ganzen Winter hindurch mühte Preußen sich ab, die allgemeine Übereinstimmung herbeizuführen. Österreich *) Maltzahns Berichte, 9. Nov. 1831 ff.