Rückkehr und Flucht der Gräfin Reichenbach. 137 schaft, ein konstitutionelles Ministerium berufen, dessen Leitung Freiherr Schenk von Schweinsberg übernahm, und den Vertrauten der Reichenbach, Meysenbug, mit dem unpolitischen Amte des Hausministers abfinden. Wieviel noch an einem gesicherten Rechtszustande fehlte, das fühlte man jetzt erst, als im Landtage die unendliche Reihe der organischen Gesetze aufgezählt wurde, die noch nötig waren, um alle die reichen Versprechungen des Staatsgrundgesetzes zu erfüllen. Die Verfassung selbst wurde schon im Februar in Frankfurt einge— reicht, damit der Bundestag die Bürgschaft dafür übernähme. Die Bun— desversammlung aber tat, wie in allen schwierigen Fällen, gar nichts. Metternich verlangte kurzweg die Abweisung des Gesuchs, und als Preußen, von mehreren Mittelstaaten unterstützt, widersprach, ließ er in einer Denk- schrift alle die Sätze der Verfassung zusammenstellen, welche dem „monar- chischen Prinzip“ zuwiderlaufen sollten. Ganz im Sinne der Hofburg verfaßte auch der Berichterstatter Blittersdorff sein Gutachten. Einen so rechtswidrigen Übergriff des Bundestages konnte jedoch der Großherzog von Baden als konstitutioneller Fürst unmöglich gutheißen; seine Regie- rung sprach sich nachdrücklich gegen die Meinung des eigenen Gesandten aus, und nachdem man noch eine Weile vertraulich gestritten hatte, wurde schließlich, nach dritthalb Jahren, im Oktober 1833 dem Kasseler Hofe unter der Hand mitgeteilt, daß der Bundestag in dieser Sache keinen Beschluß fassen könne. Durch diese lächerliche Entscheidung waren Sster- reichs Anschläge vorläufig vereitelt; die kurhessische Verfassung bestand in anerkannter Wirksamkeit, der Bundestag hatte sie ohne Widerspruch ent- gegengenommen, mithin durfte sie, nach der Wiener Schlußakte und dem braunschweigischen Präzedenzfalle, nicht mehr einseitig abgeändert werden. Unterdessen bemerkten die Kasseler bald, daß der Landesvater etwas im Schilde führte. Auf Wilhelmshöhe wurde unaufhörlich gepackt; Silber- zeug und Kostbarkeiten, selbst Türschlösser, Osen und Parkettböden ver- schwanden in großen Frachtwagen, die nach Frankfurt zu der Reichenbach ab- gingen; zugleich ließ das Hofmarschallamt eine Menge kurfürstlicher Pferde versteigern.)) Und wieder rotteten sich die Krawaller zusammen, um die Abfahrt der Wagen zu verhindern. Der Kurfürst selbst war in der Stadt vor beleidigenden Zurufen nicht sicher; seine Gemahlin aber erschien auf den Bürgerbällen, wie die anderen Damen in die weißblauen Stadtfarben gekleidet, und empfing die ehrfurchtsvollen Huldigungen der Herren, die allesamt die „Konstitutionsschleife“ im Knopfloch trugen. Sobald der Landtag geschlossen war, am 10. März, verschwand der Kurfürst mit seinem Meysenbug aus Wilhelmshöhe und fuhr nach seinen Schlössern im Hanauer Lande, wo er mit seiner Geliebten zusammentraf. Die radi- kalen Hanauer wußten sich vor Freuden kaum zu lassen, als der Landes- *) Hänleins Bericht, 19. Febr. 1831.