138 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. vater leibhaftig in ihrer Mitte erschien, auch gegen die Gräfin hatten sie nichts einzuwenden; sie hofften, ihre Stadt werde wieder wie vorzeiten Residenz werden und gewannen Wilhelms Herz durch untertänige Beflissenheit so gänzlich, daß er sich selber zum Chef ihrer Bürgergarde ernannte. Warum sollten diese südlichen Provinzen, nachdem sie schon das althessische Mautwesen abgeschüttelt, nicht einen selbständigen Klein— staat unter dem alten Kurfürsten bilden? — solche Pläne wurden bereits beim Schoppen von begeisterten Hanauer Patrioten erörtert. Während die Minister in Kassel redlich an den neuen organischen Ge— setzen arbeiteten, bildete der Kurfürst mit der Gräfin und ihrem Meysenbug eine geheimnisvolle absolutistische Gegenregierung im schönen Schlosse Philippsruhe am Main; die Bürgerfeste der Kasseler wurden durch aller— hand rohen Mutwillen gestört, und jedermann argwöhnte, daß die Unruh— stifter ihre Weisungen von der Reichenbach empfingen. Während jene den Beitritt zum preußischen Zollvereine vorbereiteten, stand der Kurfürst in Verkehr mit der benachbarten österreichischen Bundesgesandtschaft und suchte insgeheim jede Annäherung an Preußen zu vereiteln. Nach dem Buch— staben der Verfassung war er in seinem guten Rechte, denn diese verbot ihm nur den Sitz der Regierung außer Landes zu verlegen; auf die Dauer mußte ein solches Doppelregiment doch unerträglich werden; die Kasseler murrten, weil ihnen die Kundschaft des Hofes entzogen und sogar das unentbehrliche Hoftheater geschlossen wurde; umsonst hielt Hänlein den Siadträten vertraulich vor, nach so grober Verletzung der Ehrerbietung sei die Stadt doch verpflichtet, sich bei dem beleidigten Landesherrn zu entschuldigen. Heißsporne meinten schon: da der Kurfürst an der Aus- übung der Regierung verhindert sei, so müsse seine Gemahlin die Regent- schaft übernehmen. Im April wurde der neue Landtag gewählt, ohne heftigen Kampf, noch nach der stillen Weise der alten Zeit. Die Abgeordneten gehörten in ihrer großen Mehrheit der liberalen Partei an; sie beschlossen den Kur- fürsten durch Abgesandte zur Rückkehr aufzufordern, weil er im Hanauer Lande „des verfassungsmäßigen Rates der verantwortlichen Minister fast gänzlich entbehrc“. Der aber antwortete durch heftige Vorwürfe gegen die Undankbarkeit seiner Untertanen; seine Kasseler ließ er bedeuten, durch Worte könne das Andenken übler Taten nicht verlöscht werden. Im Landtage brach die gereizte Stimmung überall durch. Der Voran- schlag wies ein Defizit von fast 0,4 Mill. Tlr. bei einer Gesamtein- nahme von kaum 2,888 Mill. auf. Allein das Heer mit seinen 9000 Mann erforderte eine Million, und manche neue unabweisbare Ausgaben standen noch bevor; so sollten „die Amerikaner“, jene unglücklichen einst an England verkauften Soldaten, endlich einen bescheidenen Ruhegehalt empfangen, aber nur die im Lande lebenden, denn gegen Ausländer, also beschloß der Landtag, dürfe man „bei der allgemeinen Landesnot keine unnötige