220 IV. 3. Preußens Mittelstellung. Mittlerweile begann Preußens Bundespolitik sich leise zu ändern. Zunächst infolge der Entlassung Bernstorffs, der im Mai 1832 die Qualen seiner Krankheit nicht länger mehr zu ertragen vermochte.“) Sein Nachfolger wurde Ancillon, da Werther abgelehnt hatte, Eichhorn als Feind der Ostmächte verrufen war, und man sonst keinen geeigneten Diplomaten fand. Der eitle Mann strahlte vor Freuden über die neue, längst insgeheim erstrebte Würde und warf mit erhabenen Aussprüchen politischer Weisheit so freigebig um sich, wie Ludwig Philipp von Or— leans, dem er auch in seiner äußeren Erscheinung auffällig ähnelte. Die fremden Diplomaten trauten ihm zu, er wolle Preußens Kardinal Fleury werden. Sein eigener Ehrgeiz ging nicht so weit. Ihm genügte, wenn die Dinge sich im alten Gleise ruhig weiterschoben und der Weltfrieden erhalten blieb. Es war kein eigentlicher Systemwechsel, denn der König behielt die Leitung der auswärtigen Politik in seiner eigenen Hand; doch die Mattherzigkeit des neuen Ministers machte sich bald fühlbar. War Bernstorff der Hofburg gegenüber mit den Jahren immer stolzer auf— getreten, so hatte sich Ancillon seine österreichische Gesinnung nur allzu treu bewahrt. Sogleich nach Antritt seines Amtes sprach er „dem großen Staatsmanne, dem Europa so viel Dank schuldet“, seine untertänige Bewunderung aus und versicherte ihm „die vollständige Gleichheit des Systems der beiden Mächte“.**) Diese beständigen Schmeicheleien für Metternich und der salbungsvolle Predigerstil seiner endlosen, lehrhaften Depeschen ließen seine Politik noch schwächlicher erscheinen, als sie war. Weit verderblicher wirkte aber die zunehmende Aufregung in Oberdeutsch— land. Die trotzige Auflehnung der süddeutschen Liberalen gegen das Bundesrecht, die maßlose Sprache ihrer Presse, ihr vaterlandsloses Buhlen mit Frankreich und Polen, ihre wütenden Ausfälle gegen Preußen, ihre Drohungen und Verschwörungen — das alles zwang den Berliner Hof, der anfangs die Bewegungen dieser neuen Zeit so nachsichtig beurteilt hatte, sich wieder fester an Osterreich anzuschließen. — *) Kabinettsordre an das Staatsministerium, 10. Mai 1832. **) Ancillon an Maltzahn, 7., 28. Mai 1832.