230 IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland. Duttlinger, der so lange fast allein im Landtage der reaktionären Mehr- heit standgehalten hatte; aus Heidelberg der Buchhändler „Vater Win— ter“, der alte Kämpe der Preßfreiheit; aus dem Oostale der Geistliche Rat Herr, ein volksbeliebter, warmherziger Priester, dem fürstlichen Haus so treu ergeben, daß er sich bei Hofe jede freimütige Derbheit erlauben durfte. Zum Beginn des Kampfes schwenkte Itzstein sein Weihrauchfaß vor den Franzosen: „Im Westen Europas erhob sich ein Volk, an Bildung und Nationalsinn allen vorgehend, und gab sich einen Bürgerkönig.“ Nach diesem glorreichen Vorbilde sollte auch das badische Volk seine Frei— heit zurückfordern und die vor sechs Jahren abgeänderten Artikel seiner Verfassung wiederherstellen.“) Schaden hatte jene Verfassungsänderung allerdings nicht angerichtet; nach ihren jüngsten Wahlerfolgen durften die Liberalen am wenigsten bestreiten, daß der Volkswille jetzt, da die Kammer aller sechs Jahre vollständig erneuert wurde, sich weit kräftiger äußern konnte als früherhin, da immer nur ein Viertel der Abgeordneten ausgeschieden war. Aber das badische Grundgesetz galt nun einmal für ein Heiligtum, daß die finsteren Zeiten der Reaktion je daran gerührt hatten, durfte nicht ungerochen bleiben, und so ward denn einstimmig be— schlossen, jene unzweckmäßigen Vorschriften der Verfassung wörtlich wieder einzuführen. Die Flügeltüren des Saales waren geöffnet, weil die Tri- bünen die Masse der Zuhörer nicht fassen konnten; nach der Abstimmung erdröhnte das Haus von Jubelrufen. Auch Winter stimmte zu; er fühlte, das Rechtsbewußtsein des ganzen Landes forderte diese Sühne. Dann legte er ein wohldurchdachtes Gemeindegesetz vor, das mit dem alten Systeme rheinbündischer Bevormundung entschlossen brach. Die Kammer ging darauf ein; sie veränderte jedoch die Vorschriften über das Wahl- recht in so radikalem Sinne, daß der politische Parteikampf sofort in die Gemeindewahlen eindrang und die neue Selbstverwaltung während der nächsten Jahre sich noch nicht ruhig entwickeln konnte. Noch heftiger flammten die Leidenschaften auf, als Welcker die so- fortige Verkündigung eines Preßgesetzes verlangte. Er hatte schon im vorigen Herbst, in einer gedruckten Petition an den Bundestag, „die voll- kommene und ganze Preßfreiheit“ für Deutschland gefordert; in Frankfurt abgewiesen, versuchte er nun seine Absicht für Baden allein durchzusetzen. Also verfiel der Karlsruher Landtag nochmals seinem alten dunklen Ver- hängnis: er begann wieder, wie oft schon, einen aussichtslosen Kampf gegen den Deutschen Bund und trat auch diesmal das geschriebene Recht mit Füßen. Nichts war begreiflicher, als die allgemeine Sehnsucht nach Preßfreiheit, zumal hier an der Grenze, wo man die Blätter des Auslandes täglich vor Augen sah. Doch leider durfte der badische Staat über seine *) Vgl. III. 353.