E. Quinet. 261 digste Gedanke aller deutschen Herzen sei doch das Verlangen nach natio- naler Macht und Herrlichkeit; und mit Schrecken erkannte er, nur ein Staat könne solche Sehnsucht befriedigen: jenes unheimliche Preußen, das an seinem Gürtel den Schlüssel Frankreichs, die Rheinfestungen, in seiner Hand den siegreichen Degen von Waterloo trage. „Dort in Preu- ßen“ — so schrieb er in seinen Aufsätzen über Deutschland und Italien (1831) — „sind die alte Unparteilichkeit und das politische Weltbürgertum einem reizbaren und zornigen Nationalstolze gewichen. Der preußische Despotismus ist einsichtig, beweglich, unternehmend; er lebt von der Wissenschaft wie andere Despoten von der Unwissenheit. Zwischen ihm und seinem Volke besteht ein geheimes Einverständnis, um die Freiheit zu vertagen und gemeinsam das Erbe Friedrichs zu vermehren.“ — Die Zeit sollte noch kommen, da die Besorgnisse des Franzosen sich bewährten. Für jetzt gingen die Kräfte, welche an der Einheit Deutsch- lands bauten, noch sehr weit auseinander. Durch die Torheit der pfälzischen Demagogen wurde der bisher so geduldige preußische Hof ge- nötigt, die liberale Bewegung in Oberdeutschland zu bekämpfen, und er führte den Kampf mit solcher Schärfe, daß im Süden bald wieder ein tödlicher Haß gegen die norddeutsche Macht aufflammte. Um der Bewegung neuen Schwung zu geben, beschlossen Wirth und Siebenpfeiffer die Einberufung großer Volksversammlungen, und dies überall zweischneidige Kampfmittel konnte hier, wo man eigentlich gar keinen bestimmten Zweck verfolgte, nur Unfug und Ruhestörung bewirken. Ein von Siebenpfeiffer verfaßter Aufruf lud alle Deutschen ein, am 27. Mai auf dem Hambacher Schlosse bei Neustadt an der Hardt „der Deutschen Mai“ zu feiern, ein Fest der Hoffnung, am Geburtstage der bayrischen Verfassung; in diesem Wonnemonat hätten sich einst die freien Franken auf ihrem Maifeld versammelt und dann die freien Polen ihre Ver- fassung erhalten. Der Münchener Hof verfuhr wieder sehr schwächlich, er wollte dem preußischen Gesandten durchaus nicht zugestehen, daß in Bayern irgendeine Gefahr für die öffentliche Ruhe bestehe.) Und doch bezeichnete Wirth als den Zweck seines Preßvereins ganz offen „die Organi- sation eines deutschen Reichs im demokratischen Sinne“; und doch hatten die pfälzischen Radikalen soeben, bei einem Feste für den heimkehrenden Abgeordneten Schüler, ebenso unzweideutig ausgesprochen, jede Versöhnung mit dem Grundsatz der Legitimität sei unmöglich, die Reform Deutsch- lands könne nur auf dem Boden der unbedingten Volkssouveränität durch- geführt werden. Die Zweibrückener Bürgerwehr, die sich eigenmächtig bewaffnet hatte, belagerte die Reiterkaserne und bewachte Schülers Haus, um sofort Sturm zu läuten, falls der Volksmann bedroht würde. Aus solchen Anzeichen schloß der wohlmeinende Präsident Stichaner, *) Küsters Bericht, 3. Mai 1832.