310 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. auf einen Erfolg längst nicht mehr rechnen konnten. Neben den alten Führern der hessischen Liberalen E. E. Hoffmann und Jaup tat sich jetzt zuerst Heinrich von Gagern hervor, ein bildschöner Reichsritter von hohem Selbstgefühl und feuriger nationaler Gesinnung, der wie Zar Nikolaus durch die Außenseite des großen Mannes die Zeitgenossen lange über die Mittelmäßigkeit seiner Begabung zu täuschen vermochte. Minister du Thil glaubte dem maßlosen Hasse, der über ihn hereinbrach, nicht mehr gewachsen zu sein; er hörte überall das Hohnlied singen „Herr du Thil mit der Eisenstirn“ und bot dem Großherzog seine Entlassung an. Der aber gab zur Antwort, was nach fünfzehn Jahren wörtlich in Erfüllung gehen sollte: „Wenn Herr Jaup je Minister wird, da habe ich vorher abgedankt.“) Im November 1833 wurde der Landtag unverrichteter Dinge aufgelöst. Die radikale Partei in der Wetterau gab ihr Spiel noch nicht ver- loren; sie verachtete die Kammerredner als liberale Leisetreter, hielt ihre Genossen in der „Gesellschaft der Menschenrechte“ und ähnlichen Geheim- bünden zusammen. Paul Follen und sein Freund Fr. Münch wanderten nach Amerika aus, weil sie an ein Gelingen nicht mehr glaubten. Weidig aber hielt bei der Fahne aus, und zu diesem christlich-germanischen Schwärmer gesellte sich nun ein radikaler Atheist, der junge Georg Büchner, ein Dichter von außerordentlicher Gestaltungskraft, zugleich begeistert und blasiert, eine jener Hamletsnaturen, wie sie in der litera- rischen Gärung der Zeit gediehen. Er hatte als Student in Straßburg die St. Simonisten kennen gelernt und sprach die sozialistischen Gedanken, welche sich schon in Wirths Verteidigungsrede und einzelnen liberalen Flug- schriften leise ankündigten, zum ersten Male in Deutschland mit Bestimmt- heit aus. Realist in der Politik wie in der Dichtung, erwartete er den Sieg der Revolution nur von der rohen Gewalt; er lachte der Toren, die das Volk gegen die Sechs Artikel des Bundestags aufzuregen dachten, und wollte sich vielmehr an den hungernden Magen der Masse wenden. Sein Mitleid für die kleinen Leute kam aus dem Herzen, und nicht ganz mit Unrecht ward er späterhin als der Johannes des Messias Lasalle gefeiert. Bereits hatte Weidig seinen „Leuchter und Beleuchter für Hessen“ ins Volk geworfen; auch ein irgendwo in Thüringen gedrucktes „Bauern- lexikon“ war in Umlauf, das den kleinen Leuten erzählte, wie auf den Ministerkongressen gesoffen und gefressen und der Teufelsbund zur Er- mordung der Freiheit geschlossen würde. Alle solche Libelle übertraf aber bei weitem Büchners Hessischer Landbote, ein Meisterstück gewissenloser demagogischer Beredsamkeit. So blind war schon die Wut der Parteien: der Konstitutionelle Weidig trug kein Bedenken, an diesem wildradikalen Machwerke mitzuhelfen, der Atheist Büchner ließ sich von seinem gläubigen Freunde Bibelstellen und erbauliche Redewendungen in den Text einflechten. *) Nach du Thils Aufzeichnungen.