Der Hessische Landbote. 311 Die gesamte Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft ward hier als ein Zustand des Raubes geschildert: „Ihr müsset geben, was euere unersättlichen Presser fordern, und tragen, was sie euch aufbürden; jeden Tag wird Dieb— stahl an euerem Eigentum begangen unter dem Namen von Steuern, um einige Fettwänste zu mästen“ — und so weiter: selbst den Ertrag der Domänen rechnete Büchner mit zu den Abgaben, die dem darbenden Volke abgepreßt würden. Die Brandschrift streute den ersten Samen eines Un— krauts, das erst nach Jahren aufgehen sollte. Für den Augenblick wirkte sie wenig; die Bauern, die den „Landboten“ unter ihren Haustüren fanden, brachten die unheimliche Schrift meist selbst erschrocken der Obrigkeit. Nun erhielt du Thil, der in den Mitteln wenig wählerisch war, durch seine Spione Kunde von dem Treiben. Büchner entfloh zur rechten Zeit, Weidig wurde nebst einigen seiner Freunde gefangen, und so war auch auf diesem letzten Herde des Aufruhrs die Flamme verlöscht. — Während aller dieser Wirren wurde am Bundestage viele Jahre lang der Streit um Luxemburg dahingeschleppt, ein elender Handel, bei dem alles, was im deutschen Staatswesen faul war, zu Tage trat: die Lüge der gesamten Bundesverfassung, die zerfahrene Unklarheit der öffentlichen Meinung, die Selbstsucht der kleinen Höfe, die Feigheit des Bundestags, die Ränke der Westmächte, und leider auch die Schwäche der verständigen Friedenspolitik Preußens. Das luxemburgische Land hatte seit Jahrhun- derten die Schicksale der übrigen Provinzen Belgiens geteilt, mit ihnen gemeinsam nacheinander die Herrschaft Spaniens, Österreichs, Frank- reichs, Hollands ertragen. Nur die Westhälfte des Landes war wallonisch, aber auch in der deutschen Osthälfte konnte sich unter der beständigen Fremdherrschaft ein deutsches Nationalgefühl unmöglich ausbilden. Die Beschlüsse des Wiener Kongresses, welche das Großherzogtum in den Deutschen Bund einfügten, wurden im Lande selbst kaum bemerkt; wie hätten auch die Massen des Volks diese dem erfinderischen Geiste Hans von Gagerns entsprungene diplomatische Künstelei verstehen sollen? Die Einwohner fühlten sich als Angehörige der katholischen Niederlande, und sobald in Brüssel der Aufruhr gegen Holland begann, wehte auch in Luxemburg überall die Fahne von Brabant. Die Hauptschuld an dieser unheilvollen Wendung der Dinge trug unzweifelhaft der König der Nieder- lande selber; er hatte die allerdings schwierige Doppelstellung des Groß- herzogtums niemals beachtet, sondern dies deutsche Bundesland stets als eine belgische Provinz behandelt und ihm weder eine eigene Verfassung gewährt noch das vorgeschriebene deutsche Bundeskontingent gebildet. Wäre das Land, nach der Vorschrift der Bundesgesetze, durch luxemburgische Bundestruppen behütet worden, so ließ sich der Aufstand, der anfangs nur schwächlich auftrat, mit leichter Mühe ersticken. Völlig ungehindert,