Preußens Zurückhaltung gegen Rußland. 323 auf die Bändigung des polnischen Aufruhrs, stolzer noch auf die wüten— den Schmähreden der liberalen Presse, träumte der Zar nur noch von dem großen Kreuzzuge für das legitime Recht. Schon um Weihnachten 1830 sagte er in einer geheimen Denkschrift über die Lage Europas: „Bewahren wir das heilige Feuer für den feierlichen Augenblick, den keine menschliche Macht abwenden, keine hinausschieben kann, für den Augenblick, da der Kampf zwischen der Gerechtigkeit und den Grundsätzen der Hölle (le prin- cipe infernal) ausbrechen muß.“ Frgendein bestimmter politischer Ge- danke lag in solchen dröhnenden Worten fanatischen Hasses freilich nicht, und General Schöler urteilte treffend: „über seine eigentlichen Wünsche täuscht der Kaiser nicht nur andere, sondern sich selbst.“?) Deutlich war nur, daß Deutschland in dem Kampfe gegen die Revolution sich verbluten, und Rußland schließlich mit seiner vielgerühmten „formidablen Reserve“, die sich auf dem Papiere der Petersburger Denkschriften so großartig aus- nahm, die Früchte des Krieges gemächlich einheimsen sollte. Je sicherer Nikolaus nach dem Falle Warschaus sich wieder selbst fühlte, um so tiefer wurmten ihn die Niederlagen, die ihm Preußens bedachtsame Friedenspolitik bereitet hatte. Noch immer trug er seine persönliche Verehrung für den König geflissentlich zur Schau und ver- sicherte inbrünstig: „er ist mein Vater, ich bin sein Sohn.“ Dies hin- derte ihn jedoch keineswegs, den Berliner Hof mit Zumutungen zu über- schütten, deren gleichen andere Söhne ihren Bätern nicht zu stellen pflegen. Nach allen den Freundschaftsdiensten, welche ihm Preußen während des polnischen Aufstands geleistet, wagte er noch zu verlangen, der deutsche Nachbarstaat möge dicht an der russischen Grenze eine hohe Polizeibehörde unter Mitwirkung eines russischen Beamten einrichten; ja er bat den König sogar, jene polnischen Flüchtlinge, welche die Heimkehr verweigerten, einfach im preußischen Heere unterzustecken (März, Juni 1832). Beide Bitten wurden rundweg abgeschlagen, und die politische Freundschafterkaltete sichtlich. Der neue russische Gesandte Ribeaupierre verstand auch nicht wie sein Vorgänger Alopeus, sich das persönliche Vertrauen der Berliner Staats- männer zu gewinnen; General Schöler andererseits begann dem Peters- burger Hofe lästig zu werden, weil er durch lange Erfahrung gegen die moskowitischen Schauspielerkünste gepanzert war und immer wieder warnte: „es ist wahrhaft nationale Eigenschaft der Russen, von ihren Freunden Opfer jederart und nach dem größten Zuschnitt zu fordern, solche aber nur in ganz entgegengesetztem Verhältnis zu leisten.“) Obgleich der belgische Streit unter Rußlands eigener Mitwirkung im wesentlichen beigelegt war und mithin kein Anlaß zum Kriege mehr bestand, so forderte der Zar doch unablässig eine förmliche Erneuerung des Bundes *) Schölers Bericht, 24. Sept. 1833. *)Schölers Bericht, 28. Dez. 1833.