Abbruch der Verhandlungen mit Baden. 361 einiger Zeit in schnöden Worten erklären, daß er mit dem unbelehrbaren badischen Hofe nichts mehr zu schaffen haben wolle.*) In Berlin urteilte man milder, doch die erneuten Verhandlungen blieben fruchtlos. Der königliche Dichter in München hinterließ die imaginären Sponheimer An— sprüche seinen Nachfolgern als ein heiliges Vermächtnis, untertänigen Historikern als einen köstlichen Stoff für bajuvarische Großsprechereien. Also ward Baden, früherhin immer ein wackerer Vorkämpfer der deutschen Handelseinheit, teils durch die Torheit seiner Kammern, teils durch eine seltsame diplomatische Verwicklung ganz in das Hintertreffen gedrängt und von den entscheidenden Verhandlungen der Zollvereinspolitik mehrere Jahre hindurch ausgeschlossen. — Die leidenschaftliche, uns heute fast rätselhafte Erbitterung dieser bayrisch-badischen Händel spiegelte sich wider in einem seltsamen Abenteuer, das die Zeitgenossen viele Jahre hindurch lebhaft beschäftigte. Zu Pfingsten 1828 kam ein junger Bauerbursch, angeblich Kaspar Haufer benamset, nach Nürnberg, um bei den Chevau-legers als Reiter einzutreten; der verwahrloste Mensch war geimpft, konnte etwas lesen und schreiben, auch einfache Fragen in seinem oberpfälzischen Dialekt notdürftig beantworten, und trug die unter bayrischen Bauersleuten üblichen katholischen Gebet- bücher bei sich. Er überbrachte einen geheimnisvollen Brief, dessen Hand- schrift seiner eigenen sehr ähnlich sah. Der dunkle Sinn dieses Schreibens und das scheue, sonderbare Wesen des Burschen erregten die öffentliche Neugier; durch törichte Fragen ward bald ein ungeheuerliches Märchen aus ihm herausgeforscht: er wollte von Kindesbeinen an in einem finsteren unterirdischen Kerker gelegen, dann urplötzlich von seinem unsichtbaren Kerkermeister das Sprechen, Lesen und Schreiben gelernt haben. Der Bürgermeister Binder von Nürnberg verkündete alsdann in einer schwül- stigen, die gefühlsselige Lesewelt zerknirschenden Bekanntmachung, daß die Gemeinde den Findling „als ein ihr von der Vorsehung anvertrautes Pfand der Liebe betrachte“, und übergab seinem Schwiegersohne Daumer, einem geistreichen, aber unerfahrenen und durchaus verschrobenen Gelehrten, die Erziehung des Wunderkindes. Pädagogen, Arzte und Kriminalisten, Ho- möopathen, Wundertäter und Geisterseher, blasierte Weltmänner, Wiß- begierige aller Stände eilten herbei, um diesen Tiermenschen, der in allem von den gemeinen Sterblichen abweichen sollte, zu ergründen, jedes Organ seines Leibes und seiner Seele verwegenen Experimenten zu unterwerfen. Eine ganze Literatur von Aufsätzen und Flugschriften beschäftigte sich mit dem „Kinde von Europa“. Alle Schwächen einer tatenarmen und doch nach Taten dürstenden Zeit, der romantische Wunderglaube, die nervöse Reizbarkeit, der überkluge Scharfsinn, die Lust am Skandal und der radikale Haß gegen die vornehme Welt fanden hier ihre Rechnung. *) Note des württemb. Gesandten Frhr. von Linden an Bernstorff, 20. April 1832.